Sonntag, 17. Januar 2016

Tut, tut... der Schulexpress



Weihnachten waren wir ja in unserer alten Heimat, einem Dorf am Rand einer Großstadt. Und weil es so eine verkehrsgünstige Lage vor der Stadt, umgeben von Industrie- und Gewerbegebieten, Landwirtschaft und Natur ist, ziehen dort viele Leute hin.

Wo Farino und Joey vor eineinhalb Jahren noch Rehe aufgeschreckt haben... ist jetzt ein Baugebiet. Noch eines, von vielen. Das Dorf hat sich in den letzten fünfzehn Jahren mehr als verdoppelt und aktuell sind dort mindestens 20 Häuser im Bau, der neueste Kindergarten (und damit der dritte Kindergarten in diesem Dorf!) fast bezugsfertig. Denn in jedem neuen Baugebiet dort, wird von Anfang an auch ein Kindergarten gebaut um eine wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten.


 

Vor etwa 15 Jahren wurde ein Marktplatz geplant und es gab eine lange Diskussion, welcher Einkaufsladen dort hinziehen würde, weil es sich doch hinten und vorne nicht rechnen würde bei so wenigen Bewohnern. Edeka hat dort mit einem der ersten NP-Läden so etwas ähnliches wie ein Pilotprojekt gestartet. Mittlerweile haben die ihre Verkaufsfläche durch einen Anbau deutlich erweitert. Das hätten sie nie gemacht, wenn es sich nicht gelohnt hätte. Der erste NP-Laden hatte ungefähr die Größe von dem in der Bilderbogenpassage. Mittlerweile ist der doppelt so groß.

Natürlich gab es auf dem Dorf auch einen Schlecker. Die haben sich ja fast überall angesiedelt, wo 20 Häuser zusammengestanden haben. Nach der Pleite stand der dann leer, nun hält sich dort sein etwa vier Jahren eine Art Euro-Laden mit den Namen „Tadellos“. 

Die Feuerwehr hat ihr Domizil aufgestockt bekommen und die kleine Grundschule ist gut ausgelastet und hat eine engagierte Lehrerschaft und eine ebenso engagierte Elternschaft. Schon im Sommer sind mir bei Spaziergängen im Dorf ein paar Schilder aufgefallen. „Schulexpress“ steht dort drauf, dann noch ein Spruch zum gemeinsamen gehen und eine Reihe von Sponsoren.

Jetzt zur Weihnachtszeit habe ich vor der Schule ein großes Banner gesehen: „Autofreie Schule“. Das hat mich schon echt beeindruckt – denn ich bekomme ja fast jeden Morgen hier in Neuruppin mit, wie Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, einmal dicht um den Spielplatz fahren, der gleichzeitig auch als Pausenbereich benutzt wird – und dann wieder verschwinden. Als meine Kinder jünger waren, gab es „das Gleiche in Grün“ bei uns um die Ecke. Da war ein Schulzentrum und eine Kita und viele, viele, VIELE Eltern haben ohne groß nachzudenken ihre Kinder dort mit dem Auto hingebracht und sich ebenfalls ohne groß nachzudenken, auf Zebrastreifen, den Gehweg und auf Zufahrten gestellt um ihre Kinder morgens auszuladen und mittags wieder einzuladen. Schließlich sollen IHRE Kinder ja sicher zur Schule kommen! Das dabei viele andere Kinder einfach mal gefährdet wurden... egal. Kollateralschäden. Shit happens. Hauptsache ist doch, man ist so begeistert Mama und Papa und findet Kinder soooo toll, dass das EIGENE Kind möglichst sicher fährt. Es könnte ja irgendein rücksichtsloser Idiot kommen, er nicht aufpasst und es platt fährt. 

So eine ähnliche Situation gab es auch an der Grundschule auf dem Dorf. Eltern, die ziemlich chaotisch und rücksichtslos alles zugeparkt und die sogar Schulbusse behindert haben. Denn auch das können Eltern mit Bravour. Busstreifen zuparken und sich dabei völlig im Recht fühlen, weil die „doch nur mal eben“... das in den Bussen aber Menschen sitzen, die gemeinsam fahren, damit auch die Umwelt schonen und die auch das Recht auf einen sicheren Ein- und Ausstieg haben, wird nicht bedacht. Auch das ist hier wunderbar jeden Morgen an der Haltestelle gegenüber vom evangelischen Kindergarten zu beobachten. Auch, was manche Eltern dort von Verkehrserziehung halten. Nämlich... nix. So die richtig tollen Vorbilder an Eltern schluren ihre Kinder morgens (und nachmittags) nicht etwa über den Zebrastreifen, der 15 Meter weiter weg ist – nein, mitten im Dunkeln durch den Berufsverkehr über die Straße, weil sie selbst ja schnell, schnell zur Arbeit müssen. 





Verkehrserziehung? Ja, schön wenn die Kinder es dann richtig im Kindergarten und in der Schule lernen – aber ihre Eltern sie „schnell, schnell, der sieht dich schon!“ mitten im Dunkeln durch den Berufsverkehr schleifen, an einer Stelle, wo eine Straßeneinmündung und kurz darauf ein beleuchteter Fußgängerüberweg schon so viel Aufmerksamkeit von Autofahrern verlangen, das die nicht immer damit rechnen, das irgendeine Blitzbirne dann noch mit Kind im Dunkeln zwischen den Autos hervorrennt. Das sind so die Darwin-Award-Kandidaten von Neuruppin. Jeden morgen wieder. Garantiert erzählen solche Eltern jedem, wie toll es ist, Eltern zu sein, wie wunderbar Kinder sind und den ganzen Krempel. Ich überlege, was solche Menschen wohl sagen, wenn ihnen selbst in so einer Situation ein Kind vor das Auto läuft? „Oh Gott, oh Gott, das tut mir so leid, ich habe das gar nicht kommen sehen, da vorne ist doch der Fußgängerüberweg... oh Gott, oh Gott... das wollte ich nicht! Oh Gott, ich kauf dem Kind einen Teddy und dann ist wieder gut – ja?“ - und was sie sagen würden, wenn ihr Kind plattgefahren wird, weil sie dem beigebracht haben, einfach so mitten über die Straße zu rennen?: „Du verdammtes Schwein, man sollte dir den Führerschein wegnehmen, du gehörst in den Knast, hast du keine Augen im Kopf? Unglaublich! Und so etwas läuft frei herum! Du gehörst eingesperrt und der Schlüssel weggeworfen, du hat mein Kind umgebracht, du Mörder!“. 

Aber zurück zum Schulexpress auf dem Dorf. Den gibt es dort seit Mai 2015. Die Idee kommt aus Bremen, dass man Haltestellen für Schulkinder einrichtet, bei denen sie auf andere Schüler warten um dann gemeinsam zur Schule zu laufen. Das lüftet den Kopf vor dem Unterricht noch mal durch, vertieft Freundschaften, hält fit – und die Schule bleibt ziemlich autofrei, weil das Verkehrschaos der Eltern wegfällt. Es bietet den Kindern noch etwas – nämlich ein bisschen Abenteuer und auch Verantwortung. Jeder Schulweg ist immer auch ein Erlebnis. Die Kinder lernen auch auf dem Schulweg – nämlich was sich verändert hat. Sie nehmen ihre Umwelt viel bewusster wahr und haben auf dem Rückweg dann auch Zeit, „runterzukommen“. Zeit, die ihnen sonst oft fehlt und dann wundern Eltern sich, das ihre Kinder irgendwie überdreht und überreizt sind. 

Nick ist hier noch zwei Jahre zur Schule gegangen – und den Schulweg gelaufen. Bei jedem Wetter. Als es mal etwas mehr geschneit hat, ist er in einen Schneehaufen gefallen, als Richtung Rheinsberger Tor die Fernwärmeleitungen gelegt wurden, hat er bei den Baustellen geschaut, er hat unterwegs Bekannte getroffen, in Schaufenster geschaut, ist über den Markt gegangen – und war stolz. Für jemanden mit einer leichten Gehbehinderung und mit nicht so guter Ausdauer war der tägliche Schulweg von knapp einem Kilometer pro Strecke eine Herausforderung. Ungesicherte Kreuzungen überwinden, holperige Bordsteine, an den Baustellen entlang ganz am Rand laufen, über die Schienen wechseln, Züge schauen... alles das gehörte zum Erlebnis Schulweg dazu.

Ich finde den Schulexpress eine tolle Sache. Und für Neuruppin auch durchaus nachahmenswert, dort wo es etwas Ähnliches noch nicht gibt und wo Eltern zum Teil insbesondere dadurch auffallen, das sie mit ihren Blechkisten ohne Rücksicht auf Verluste andere Menschen gefährden oder Anwohnern die Einfahrten und den Gehweg gleich mit zustellen. Beim EVI zum Beispiel. Oder bei der Montessori-Schule. Das sind die Schulen, wo es mir halt sehr auffällt, weil ich an denen immer vorbeikomme. Aber auch das Autochaos an der Gentz-Schule habe ich mitbekommen als Nick dort noch nebenan auf der Schule war. 

Auf dem Dorf gibt es in den Wohngebieten jetzt 13 Haltestellenschilder. In der ziemlich großen Gemeinde Rastede ist das Dorf Wahnbek das erste Dorf, das so einen Schulexpress hat – und damit ungefähr die 100. Schule in Norddeutschland, die so etwas auf die Beine gestellt hat. Eine wirklich tolle Idee, die sich ruhig weiter herumsprechen sollte. In Brandenburg hat bislang eine Schule einen Schulexpress eingerichtet und das ist die Anne-Frank-Grundschule in Teltow. 

Mehr Infos findet ihr unter: http://schulexpress.de/