Mittwoch, 23. Mai 2018

Bombenstimmung in der Stadt, Teil 3





Freitag, 6 Tage vor Tag X

Der große Bilderbogen verkündet dass die Schüler der christlichen Schule einen Tag frei haben, wenn eine Bombe gefunden wird. Ferner hat das Lehrerkollegium beschlossen den Unterrichtsplan für die kommenden Tage zu ändern und mental sich auf die drohende Gefahr einzustellen. Eilig werden einige Großeltern aufgetrieben, die von ihren Kriegserlebnissen berichten. Einige Klassen brechen – angeführt von Mitgliedern der Pilgergruppe dieser Schule - mit Jutebeuteln zu Wandertouren auf um zu hamstern, im Kochunterricht wird eingeweckt und im Musikunterricht der Schwerpunkt auf Antikriegslieder gelegt.

Um die Massen an evakuierten Bewohnern unterbringen zu können, wird eng mit dem Übergangswohnheim in Treskow zusammen gearbeitet. Dort werden an dem Tag Notzelte mit Feldbetten aufgeschlagen, um die Massen an evakuierten Menschen unterbringen zu können. Serafin M., Bewohner des Übergangsheimes, erklärt in einem Interview mit dem regionalen TV-Sender stolz, er und alle anderen Bewohner wären überglücklich, den Menschen von Neuruppin so endlich mal etwas zurückgeben zu können. Um den Städtern einen Eindruck der vielfältigen Heimatkulturen zu bieten, wird ein Ochse organisiert, der dann am offenen Lagerfeuer gegrillt werden soll. Ferner werden beim örtlichen Gemüsegroßhandel 200 Kokosnüsse und zwei Säcke Palmblätter als ökologisches, nachwachsendes und traditionelles afrikanisches Geschirr geordert. Die Kindergruppe des Heimes wird von der Seniorenlandfrauengruppe gefragt, ob sie nicht zur Feier des Tages einen Regentanz aufführen möchte.

Zudem wird mit einem Eselhof sowie einer Kamelstation kooperiert, die an Tag X mit ihren Tieren um 6.30 Uhr auf dem Schulplatz stehen um Interessenten „eine authentische begleitete Flucht nach Treskow“ zu ermöglichen und so ansatzweise nachempfinden zu können, wie es den Asylbewerbern wohl ergangen ist. Ein Anbieter für Fußpflegeprodukten wird zusammen mit zwei Fußpflegern am Ziel den erschöpften Wanderern die Möglichkeit einer Fußmassage anbieten. Die Mineralwasserquelle aus der Region hat ebenfalls Interesse am Sponsoring bekundet. 

Das Cafe Hinterhof erweitert sein Angebot an Djembetrommeln um „natives Kommunikationstrommeln“ sowie „Gitarrenkurs zu den Songs >Hiroshima< und >Sag mir wo die Blumen sind< “. 

Die geheime Prepper-Gruppe beschließt kurzfristig ein Überlebenstraining in Brandenburgs Wildnis anzubieten, denn man weiß ja nie. IM „Holgi Pepperprepper“ verkündet, er hätte seine alten Seilschaften aktiviert, die selbstverständlich beim intensiven Training helfen würden. Bei Zahlung von 189 Euro auf sein Payback-Konto ichueberlebe ät ihrnicht punkt lol bis 24 Uhr wäre man einer von 9 exklusiven Teilnehmern und würde die Koordinaten für den Treffpunkt bekommen.

Samstag, 5 Tage vor Tag X

Schon um 7 Uhr füllen sich die Parkplätze vor den Lebensmittelmärkten mit Leuten, die zusätzlich zu ihrem üblichen „wir werden jämmerlich verhungern wenn der Kühlschrank nicht so voll gestopft ist, dass die Türe einen Spalt offen bleibt“ dann auch die Regale mit den sonst so verschmähten Konserven entdeckt.

Discounter, die gerade Werkzeug im Angebot haben, können bereits um 12 Uhr diese Regale leergefegt ins Lager schieben. 

In der ganzen Stadt gibt es keine Straßenmalkreide mehr zu kaufen. 

Vor dem 10 Meter langen Schraubenregal beim Baumarkt, der samstags geöffnet hat, streiten sich einige Männer darüber, wie bei einer Evakuierung die Fenster gegen Plünderer, die marodierend durch die Stadt streifen werden, am Besten zu sichern sind. Die Sägeabteilung hat bis auf die von ihnen selbst reservierten Platten den ganzen Tag OSB- und Multiplexplatten für Kunden in Fenstergrößen zugeschnitten. An der Info kommt es fast zu Prügeleien, was den Leihtransporter betrifft.

Die Filialleitung wird am Abend feststellen, dass alle Schrauben ab 50/35 mm ausverkauft sind, dazu der komplette Schnellzement sowie alle Pattextuben. Ebenfalls herrscht bei Lochblechen und dekorativen Fensterschutzgittern gähnende Leere in den Regalen. Von den Videosystemen zur Hausüberwachung ist immerhin noch die Hälfte da.

Um die Stimmung aufzuhellen und den Verkauf anzukurbeln, beschließt das Centermanagement, die Beschallungsanlage mit „I will survive“ von Gloria Gaynor in Endlosschleife zu bestücken. Bald darauf sieht man die ersten verstohlenen Tanzbewegungen zwischen Regalen.

In der Kleingartensparte „Abendfrieden“ sieht man vereinzelt alte Herren mit glänzenden Augen aus den Tiefen ihrer Schuppen verstaubte Kästen ziehen, die sie abgestaubt auf Zaunpfähle montieren und mit Drähten versehen. „Gegen Plünderpack!“ stellen sie mit einem Augenzwinkern fest.

Ein Knall durchbricht wenig später die friedliche Mischung zwischen Akkuschraubergequietsche, Sägegeräuschen und Vogelgezwitscher. 8 Minuten nach einem gellendem weiblichem „HUUUUUBERT“ brettert ein Rettungswagen mit Martinshorn und Blaulicht durch die Heckenwege, 15 Minuten später kreist ein Rettungshubschrauber auf der Suche nach einem Landeplatz über der Siedlung. Vereinzelt demontieren alte Männer erstaunlich schnell vor kurzem installierte Drähte und dekorieren verdächtige Kästen auf Zaunpfählen mit Mülltüten und Panzertape. Kurz darauf wimmelt es in der Anlage vor blaulichtflackernden Fahrzeugen in allerlei bunten Farben.

In der Stadtverwaltung klingelt das Telefon. Die Kreisveterinärin teilt mit, dass es derzeit leider keinen verendeten Wal geben würde, aber die Norwegische Botschaft hätte ein Angebot für einen ausgeschlachteten Pottwal abgeben. Vorsorglich fügt sie hinzu, das es auch keine gute Idee wäre „Kühe fliegen zu lassen“. Also doch das Winterfutter vom LPG-Verband.

In der Buschtrommel macht sich Entsetzen über den Vorfall in der Kleingartensparte „Abendfrieden“ breit und man ist sich schnell einig, dass „irgendein Vollpfosten so ein US-Schulmassaker als Vorbild hatte“.. Schnell füllt sich der Thread mit dutzenden von Handyfotos und -videos.

Erika S., ehemals glühende Verehrerin „vom einzig wahren Erich“ ahnt zwar, was tatsächlich passiert ist, greift sich aber kurz darauf den Reporter der bundesweiten Schundpresse und erzählt ihm von einer vermummten Gestalt mit Kalaschnikow. Zwei Stunden später ziert ihr entsetztes Konterfei überregional die Online-Version des Blattes, dekoriert mit der Schlagzeile „Blutiges Massaker mitten im Abendfrieden!“

Im Krisenstab bildet sich ob der aktuellen Ereignisse ein Krisenstab. Eine Flasche „Alter Zieten“ wird zur Erweiterung des Getränkeangebotes nachgeordert. Der Stadtverordnete Norbert M. erscheint im Rathaus und erinnert an seinen Vorschlag zur Bürgerwehr. Er hätte es ja schon immer gewusst. Wenn Bedarf bestehen würde, hätte er sofort 10 Leute mit paramilitärischer Ausbildung an der Hand, die notfalls mit einem Fallschirm aus Flugzeugen springen oder sich als Taucher unter Wasser anschleichen könnten. James Bond wäre dagegen eine hohle Schokoladenjahresendfigur. 







Fortsetzung folgt. Bleiben Sie dran!






Bombenstimmung in der Stadt, Teil 2

Bild: Meribo / Pixabay



Mittwoch, 8 Tage vor Tag X 



Spät in der Nacht klingelt beim Bürgermeister das Telefon. Ein Anruf aus Polen. Der Fahrer hat nur kurz auf der Autobahn an einem dunklen Rastplatz zum pinkeln angehalten und zack, schon war die Limousine verschwunden und mit ihr fünf Miniaturbomben für Testsprengungen auf dem Pappmodell. Mit dem Hinweis, dass man alles schon irgendwie hinbekommen würde, schließlich gäbe es ja den Bürgerhaushalt und der Fahrer wäre immerhin Bürger, wird dieser mit dem neuen Auftrag „Besorgen Sie noch eben 50 000 Hundekotbeutel, die sind dort günstiger und dann kriegen wir das schon hin“ versehen und zurückbeordert. 

Der Leiter des Kampfmittelräumdienstes merkt an, dass größere Mengen an weicherem Material benötigt werden, die aus Sicherheitsgründen um die Fundstelle herum aufgebaut werden müssen. Erste Nachfragen bei Massentierhaltungsbetrieben hätten horrende Preise ergeben. „Schließlich ist das unser Winterfutter, wenn das vernichtet ist, verhungern uns die Viecher!“ so der LPG-Verbandsvorsitzende Horst A.. Ferner wäre mittlerweile einer der beiden Denkmalschützer auf der Baustelle aufgetaucht und hätte nicht nur an die archäologisch notwendige Begleitung und Dokumentation bei Bodenarbeiten, sondern auch an den letzten Stadtbrand erinnert, der durch ein Büschel brennendes Stroh verursacht worden ist. Man beschließt beim Veterinäramt nachzufragen, ob ein verendeter Wal für die Absicherung der Sprenggrube zur Verfügung stehen würde. Der brennt nicht und das wäre auch viel ökologischer. Immerhin muss man ja irgendwie auch allen Auszeichnungen auf dem Briefkopf gerecht werden.

Der große Bilderbogen bringt digital das erste Bild von dem zu evakuierenden Bereich. Prompt regt sich der erste Protest. Bei Männern. Es würde EVAkuieren heißen. Das wäre aber nur auf Frauen bezogen und eine Sauerei, ob die Männer, die Adams, nur Kanonen – in dem Fall Bombenfutter wären. Zwei Stunden später trudelt via Mail die erste Beschwerde beim Gleichstellungsbeirat über das Wort „Evakuierung“ ein. Die Verwaltungsspitze beschließt, die ortsansässige Destillerie mit der Lieferung einer Flasche „Alter Zieten“ ins Rathaus zu beauftragen. Das würde unter „beruhigende Antikriegsführung“ sicherlich durchgehen und hätte sich ähnlich hier ja auch schon bei den Russen bewährt.

Die Sammler historischer Stadtbilder in der Buschtrommel beschließen, eine Art „Goodbye-Hommage“ an Neuruppin zusammenzustellen, falls die Bombe explodiert und – O-Ton Karl I.: „Binnen Sekunden Nichts mehr so sein wird, wie es immer war“. Burkhard J. erklärt sich tief bewegt bereit, aus allen zugesandten Bildern einen Film zusammenzustellen. Vitali O., begeisterter Hobbymusiker mit eigener Bontempi-Orgel steuert eine selbstkomponierte Filmmusik dazu bei. 86 Leute drücken gerührt auf „Gefällt mir“, 23 User posten „will haben... sooo schön!“. Selbst aus Karlsruhe, Norwegen und den USA kommen binnen weniger Stunden erste Interessensbekundungen an dem Dokumentarwerk.

Die ersten Geschäftsinhaber überlegen, was sie zum Katastrophentag als „Special“ anbieten können. Der Inhaber vom Kinopalast, der außerhalb des Sperrbezirks liegt, blockt für den Tag schon mal alle regulären Vorführungen. Nach einem Brainstorming mit Mitarbeitern ordert er beim Filmverleih „Apocalypse Now“, „Die Brücke“, „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, „Das Boot“ sowie „Stalingrad“ und „Vor uns die Hölle“.

Bestatter Kurt Z. fragt beim polnischen Sarghersteller an, wieviel Särge er für den Notfall auf Lager hätte und wie die Lieferkonditionen bei einer Großbestellung wären. 

Die örtlichen Glasereibetriebe werden vom Bundesverband der Glasindustie auf die Sonderkonditionen bei den Glasherstellern im Falle von Katastrophen hingewiesen. Die Glasindustie scannt das Web durch Bots automatisch nach bestimmten Schlagworten wie „Katastrophe, Bombe, Entschärfung, Sprengung“. 

Die Mitarbeiter der Holzabteilung des ortsansässigen Baumarktes reservieren sich schon mal eine Ladung OSB-Platten, markieren den Tag X im Kalender rot und mit „Auftragsarbeiten“ und grinsen hämisch.

Donnerstag, 7 Tage vor Tag X


Der Baggerfahrer des Kampfmittelräumdienstes, Martin H., findet morgens die Visitenkarte des Bestatters Kurt Z. mit dem Hinweis auf 5 % Rabatt bei Vorlage der Karte an seinem Bagger vor.

Die Stadtverwaltung bittet über den großen Bilderbogen die Mitbürger im zu evakuierenden Bereich darum, sich zu melden, wenn sie ihre Wohnungen nicht alleine verlassen können und gibt eine Telefonnummer durch. Zehn Minuten nachdem die Verwaltung an diesem Tag die Arbeit aufgenommen hat, bricht das Telefonnetz zusammen. Kleine Flammen schlagen aus dem Verteilerkasten im Keller, es riecht verschmort. 

15 Minuten später steht der komplette Löschzug der Feuerwehr mit flackerndem Blaulicht auf dem Rathausgelände und Feuerwehrleute mit schwerem Atemschutzgerät stürmen in den Keller, während die Mitarbeiter aus dem Rathaus stürmen und sich an den Versammlungspunkten zusammenrotten und sich über die zusätzliche Raucherpause freuen. Da Kaffee auch ganz praktisch wäre, beschließt jemand, den mobilen Kaffeelieferanten anzurufen, der auch Baustellen beliefert.

Durch einige Bürofenster ist ein Lichterflackern zu beobachten und nach einem mittellautem Knall ist im Rathaus alles dunkel, was sonst durch Elektrik irgendwie leuchtet. Mit lautem Geknatter kommt eine grüne Ape auf den Hof gefahren und alles strömt zum Kaffeelieferanten. Kurz darauf kommt der Eiswagen angefahren.

Henry W. Mitglied der Prepper-Gruppe OPR sitzt in seinem Auto vor der roten Ampel an der Kreuzung Fehrbelliner Straße/Karl-Marx-Straße und traut seinen Augen nicht. Während Neuruppin in wenigen Tagen wahrscheinlich Geschichte sein wird, feiert die Rathausbelegschaft ein Picknick draußen in der Sonne! Wütend zückt er sein Handy und drückt auf den Video-Button. Da kurz darauf die Ampel auf grün springt, wird es nur 3 Sekunden lang und sehr verwackelt. 10 Minuten später erscheint das Video mit dem Kommentar „Das darf doch nicht wahr sein!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! UNVERSCHÄMTHEIT!!!!!!!!!!!!!!!!! 111!!!“ auf der Buschtrommel. Knappe 20 Minuten später hat es 58 Likes, davon 16 mit Kotz-Smiley und 21 mit Wütend-Smiley. In den Kommentaren finden sich Äußerungen wie „die alten Säcke“, „haben den Schuss wohl nicht gehört“ sowie „und das von unseren Steuergeldern“ wieder.

Die Hilferufe und das einsame Klopfen vom unverbesserlichen Hubert Z. der einsam im Aufzug zwischen dem 4. und 3. Stockwerk festsitzt, hört niemand.




Fortsetzung folgt. Bleiben Sie dran!


Bombenstimmung in der Stadt, Teil 1

Bild: Merio / Pixabay

Montag, 10 Tage vor Tag X


Der große Bilderbogen der kleinen Provinzstadt Neuruppin verkünden digital ein sich annäherndes drohendes Unheil für die ganze Stadt. Bei Bodensondierungen wurde eine „Anomalie“ gefunden. Ähnlich wie bei Geflügel und anderem Getier vor einem Erdbeben, breitet sich wellenartig langsam Panik in der Stadt aus.

Wenig später wird der hiesigen Online-Buschtrommel „Du weißt du bist Ruppiner wenn...“ ein Screenshot der geheimen Prepper-Gruppe OPR zugespielt, auf dem zu lesen ist, das „IM Holgi Pepperprepper“ die Mitglieder der „Abteilung WK 1 – 3“ dazu aufruft, sich angesichts der Bedrohung umgehend mit den vorerst wichtigsten Überlebensmitteln einzudecken um bis Ultimo rund um die Uhr notfalls vom Klo aus der unwissenden und naiven Bevölkerung mit digitalem Rat zur Seite zu stehen. Im Nahversorgungszentrum am Reiz gibt es nur wenige Stunden nach dieser Meldung die ersten Engpässe bei Energie-Drinks, Kaffeepulver, Tiefkühlpizzen und Popcorn.

Während die Stadtverwaltung zusammen mit allen möglichen anderen Ämtern einen Krisenstab bildet um für das „was wäre, wenn das drohende Unheil unsere ganze Stadt wegfegt?“ gewappnet zu sein und an der Mesche eiligst das Pappmodell der Stadt um die Bahnhofsregion erweitert wird, verlässt des Nachts eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben die Stadt in Richtung Osten. 

Ihr Ziel: Babimost. Die Partnerstadt des brandenburgischen Provinzstädtchens in Polen. Der Auftrag: Für Probesprengungen am Stadtmodell sollen möglichst authentische Miniaturprengkörper eingesetzt werden und Polen sind dafür die Experten schlechthin.

Dienstag, 9 Tage vor Tag X


Bereits um 8:21 Uhr ist die Papierversion des großen Bilderbogens nirgendwo mehr offiziell erhältlich. Lediglich besser situiert aussehenden Interessenten werden unter dem Tresen gehandelte Exemplare zu regelrechten Wucherpreisen mit einem geraunten: „Vielleicht eine der letzten Exemplare überhaupt!“ angeboten. Die hiesigen Baumärkte verzeichnen eine erhöhte Nachfrage nach Metallkisten und erdfesten Tresoren.

In der ABM-Werkstatt an der Mesche werden die Medikamentenverpackungen für die Miniaturhäuser knapp. Der Nachschub vom Klinikum wird mit den Rettungshubschrauber eingeflogen, für dessen Landung ein halbes Getreidefeld kurzerhand mit allen auf dem Hof der Werkstatt herumstehenden Fahrzeugen plattgefahren wurde. Der durch die Rotorblätter aufgewirbelte Staub lässt alle Anwesenden binnen Sekunden wie Darsteller aus dem Film „Lawrence von Arabien“ aussehen. In drei anwesenden Kleingärten verabschieden sich ein Vordach, zwei Sonnenschirme und ein Pavillon. Letzteres schwebt geradezu majästätisch gen Himmel um sich kurz darauf in den Kabeln der Stromtrasse zu verfangen und damit ein Höhenfeuerwerk auszulösen. Sekunden später herrscht in der halben Stadt Stromausfall.

Die geheime Prepper-Gruppe OPR hat einen eigenen Krisenstab gebildet, dessen Aufgabe ist, online alle besorgten Bürger aufzumuntern. Ausgerüstet mit je 20 Litern Energie-Drinks, 3 Packungen Kaffeepulver sowie 10 Tiefkühlpizzen pro Person ziehen sich die Mitglieder nach einem gemeinsam gebrüllten „Allzeit bereit!“-Ruf, festem Händedruck und mit Tränen der Rührung in den Augen in ihre Wohnungen zurück um sich ihrer wichtigen Aufgabe zu widmen. Erich H. Senior-Prepper der alten Schule fängt an zu schluchzen: „Männer, das ist wie früher! Das ich das noch mal erleben darf bevor ich sterbe!“.

Die Ämter haben mittlerweile auf einer Karte einen Sperrkreis ausgehandelt: Auf einer aufgehängten Karte wird der Fundort der Anomalie mit einem großen X gekennzeichnet. Damit auch jeder Anwesende seinen Beitrag zur Sperrzone leisten kann, werden Dartpfeile verteilt. So hat jeder schnell und effektiv seinen Beitrag zur Evakuierungszone beigetragen. Jeder bis auf den Bürgermeister. Der braucht ein bisschen länger, immerhin möchte er auf keinen Fall den Pfeil in den See versenken, sondern genau an der Kreuzung Präsidentenstraße/Regattastraße an der Stadtmauer. Um Inklusion zu leben, bekam die anwesende Behinderte dann ein Knäuel rote Wolle und den Auftrag, diese um die Dartpfeile zu wickeln, damit für jeden die Grenzen ersichtlich sind. Dankbar und glücklich sich mit so einer wichtigen Aufgabe einbringen zu können, machte sie sich an die Arbeit. 

Währenddessen schaut Gundula F. aus ihrer Höhle im 5. Stock des WK 3 auf die Stadt herunter, schlurft zu ihrem Personal-Computer und tippt die folgenschwere Nachricht ein: "Was soll denn die ganze Panikmache jetzt schon, man weiß ja noch nicht einmal, was das ist!". Wenig später klappt Verschwörungstheoretiker Oha Watnspinner drei Dörfer weiter in seinem Baumhaus sein solarstrombetriebenes Notepad auf, liest diese Zeilen und rennt elektrisiert zum Bücherregal um aus dem untersten Regal ein sehr altes in Leder gebundenes Buch seiner Ururururgroßmutter zu ziehen. Diese landete vor 200 Jahren nach verlorener Hexenprobe im See zum trocknen auf einem Scheiterhaufen vor der Stadt.








Fortsetzung folgt, bleiben Sie dran!