Dienstag, 16. Juli 2019

Die AfD und der Osten, der aufsteht

Es naht die Landtagswahl. Gut, die ist erst im September - aber da, wo die in hohem Maße Menschen aufgrund ihre Herkunft oder ihres sozialen Status verachtende AfD sonst gerne mal pennt - jetzt ist sie wach und ganz fleißig am plakatieren. 

Was ihre Sprüche anbelangt, die sie öffentlich loslassen, sind sie mit der provokanten Art längst nicht so dumm, wie sie tun. Denn Provokation verbreitet sich recht schnell im Netz, sorgt so für Reichweite - und kostenlose Werbung. Das wusste schon Benetton, als mit Menschenknochen Werbung gemacht wurde oder True-Fruits mit ihrer schwarzen Flasche, die großformatig als "Quotenschwarzer" beworben wurde. Auch die Bundeswehr greift mit ihrer aktuellen Werbekampagne gerne mal so ein bisschen ins Baustellenklo. 

Natürlich liegt es mir nicht unbedingt nahe, die AfD zu beglückwünschen. Aber besonders ein Plakat von denen ist einfach so unglaublich gnadenlos und regional entlarvend, da muss ich dann schon mal wirklich Anerkennung zollen!

Um welches geht es? "DER OSTEN STEHT AUF!"

Das ist eine so unglaublich tolle Aussage von denen, ich überlege immer noch, ob denen ihr "Freudscher Versprecher" eigentlich tatsächlich bewusst ist. Ich denke, dass Einige jetzt überlegen: "Wie, was hat die denn? Das ist doch toll, dass die sich um uns hier kümmern!". 

Nun ja. Ich sehe es so: Wenn eine bundesweite Partei überall mitmischt, dann ist sie wie eine Pyramide. Ganz oben ist die Bundespartei mit ihren Leuten in der Regierung. Dann kommen die Landtage in den einzelnen Bundesländern. Darunter kommt die Basis in den Kreisen und Orten. 

Im Bundestag sitzen für eine Partei (egal für welche) meistens Menschen, die sich jahrelang durch viel Arbeit von der Basis - also von ihrem Wohnort - nach oben gearbeitet haben. Dabei müssen sie nicht mal unbedingt im Landtag gewesen sein, aber sie haben vor Ort meistens viel getan und bewegt, sich informiert und wissen halt über die regionalen Gegebenheiten ganz passabel bescheid. Deshalb sollen sie ja ihre Region in der "großen Politik" vertreten. 

Die Leute an der breiten Basis wären ohne ihre Vertreter im Land- und Bundestag oft nichts. Denn mit einem Teil des Einkommens als Abgeordneter wird die Ortsgruppenarbeit finanziert. Zum Beispiel Miete, Strom, Bürokräfte, Büromaterial, Werbematerial, Fortbildungen und so weiter. Umgekehrt braucht der Bundestag nun einmal Vertreter aus allen Regionen und sollte deren Arbeit ernst nehmen und unterstützen, so gut es geht. Das ist bei vielen Parteien so Usus. Bei der AfD offensichtlich nicht. Oder so eine Art "neuer Kontinent / Neuland" für diese Partei. Denn ganz offensichtlich lässt die Bundespartei ihre Basis ganz schön auflaufen. 

Was hat das jetzt mit "DER OSTEN STEHT AUF!" zu tun? 

Im BUNDESWAHLPROGRAMM der AfD kommen die "neuen Bundesländer" im Prinzip nicht vor. Es gibt keine anvisierten Förderprogramme für die Regionen im Osten, keine Ost-West-angleichenden Forderungen oder ähnliches. Eher Dinge, die EU-Förderungen in erklecklicher Millionenhöhe für eben diese "neuen Bundesländer" um sie zu fördern gefährden und Menschen, die sich  - egal ob "biodeutsch" oder nicht, hier eh schon abgehängt fühlen, noch weiter abhängen wird. 

Wie kann also eine Partei in so einem "neuen Bundesland" dann "DER OSTEN STEHT AUF!" großflächig plakatieren, wenn gleichzeitig schon vor kurzem bei der Bundestagswahl ganz klar mitgeteilt wurde: "Eigentlich geht und der Osten in Form der neuen Bundesländer am Arsch vorbei!"? Und vor ALLEM: Es sind keine OSTDEUTSCHEN, die in Brandenburg für die AfD in den Landtag wollen! Es sind Wessis, die sich so einen warmen gesicherten Platz auf Staatskosten suchen und all denen eigentlich einen Vogel zeigen, die jahrzehntelang hier gerackert haben und nur eine Minirente bekommen. Denn als Landtagsabgeordnete haben sie schon nach wenigen Jahren eine Rente, von der ein Fabrikarbeiter, Landwirt, eine Bäuerin, Verkäufer oder was auch immer in Ostdeutschland egal ob vor oder nach der Wende selbst nach JAHRZEHNTEN nur träumen kann. 

Also "DER OSTEN STEHT AUF!" befördert hier Wessis in gut dotierte Posten eines ostdeutschen Landtages, die einfach nur auf ihr hiesiges Wahlvieh hoffen und denen die tatsächlichen regionalen Problematiken am Allerwertesten vorbei gehen. 

Also ist gar nicht der HIESIGE Osten - also die "neuen Bundesländer" gemeint, sondern "DER OSTEN" jenseits unserer Bundesgrenzen? Wird nicht auch in Mekka gen Osten gebetet? Und klar, die beten recht bodennah - ABER DANACH STEHEN DIE AUF! 

Und bestellen zu Beispiel so "nette Sachen" wie Panzer und andere Waffen! Das bringt natürlich enorm viel Kohle. Vor allem dem Westen, wo die Rüstungsindustrie ist und Steuern zahlt und auch dann doch irgendwie diejenigen herkommen, die man für die AfD "DER OSTEN STEHT AUF" herkommen und auf einen finanziell weich gepolsterten Posten wählen soll! 

Ja, da kann man dann tatsächlich sagen: "SCHREIBT GESCHICHTE!". 









Sonntag, 11. November 2018

Post von den Stadtwerken

Habt ihr auch das netten Schreiben von den Stadtwerken bekommen, dass der Strom leider teurer wird und die Kosten pro Haushalt dann um etwa 3 Euro im Monat steigen? Ja?

Also, das Stromkosten steigen ist ja prinzipiell in Ordnung. Das tun sie bei anderen Stromversorgern auch. Im Prinzip hätte ich grundsätzlich noch nicht einmal etwas dagegen, wenn die Stadtwerke moderat erhöhen und es PLAUSIBEL wäre. Aber wogegen ICH etwas habe, ist das Gefühl, verarscht und für komplett blöd gehalten zu werden. Denn es sind die Stadtwerke, die jetzt "huch, wir müssen leider den Strompreis anheben!" schreiben. 

Also genau diejenigen, die jedes Jahr diverse tausend Euros übrige haben, die sie in Veranstaltungssponsoring stecken können. Drachenbootrennen, Rudern gegen Krebs, Querfeldein, Festival der Reiseliteratur und was und wer nicht alles Geld aus dem Säckel der Stadtwerke bekommt, das WIR KUNDEN DORT EINZAHLEN!

Genau diejenigen, die der Stadt für viel Geld die Straßenbeleuchtung abgekauft und saniert haben. Auch okay, nützt ja allen Stadtbewohnern und Besuchern. 

Genau diejenigen, die die öffentlichen  Toiletten übernommen haben und jetzt für die Wartung zuständig sind, weil die Stadt sich damit überfordert gefühlt hat. Na ja.... 

Genau diejenigen, die die Brunnen auf dem Schulplatz und im Rosengarten warten. Na ja, teure Dauerbaustelle, besonders der schwer beliebte vor dem Gymnasium. Aber letztlich - okay, die Brunnen sind schwer beliebt und die Kinder freuen sich. Es sei ihnen gegönnt.

Genau diejenigen, die den städtischen Bauhof übernommen haben (Mimimi, die Stadt hat finanzielle Probleme, also müssen die Stadtwerke ran...). Da fängt es schon an, ein bisschen "Geschmäckle" zu bekommen. Aber auch der Stadtbauhof dient allen Bürgern und manche Sachen klappen jetzt besser. 

Genau diejenigen, die "Mimimimi, die Stadt hat kein Geld" die Straßensanierungen (vor-)finanzieren und in Radensleben einen Gehweg haben pflastern lassen, der letztlich brandneu schon in so schlechtem Zustand ist, dass die Leute dort aus dem Seniorenwohnpark kaum noch unterwegs sind, weil die Sturzgefahr zu hoch ist,  die Steigungen mit Rollis kaum zu bewältigen sind und da mit viel Aufwand etwas hingerotzt wurde, dass einfach halbgar ist und wo Proteste offensichtlich mal eben beiseite gefegt werden.  Da wird es schon mehr als fragwürdig.

ABER AUCH DIEJENIGEN, die sich den Luxus geleistet haben, für Unsummen ein Schiff einzulagern und zu restaurieren, was den ganzen Sommer über an seinem Liegeplatz lag. Die dafür gesorgt haben, dass genau vor dem Liegeplatz des Schiffes eine Fläche für einen Tanklaster zum Betanken des Schiffes entsteht (die abgesenkte betonierte Fläche) - der aber offensichtlich nicht auch von anderen Schiffen dafür genutzt werden kann. Da gab es doch mal die Debatte um eine Schiffstankstelle in Neuruppin und das Argument, dass man es aus Sicherheitsgründen wegen Havarie und Gewässerverseuchung nicht machen kann und alle Schiffe deshalb woanders hinfahren müssen um zu tanken.  Aber schön, dass ein Schiff, das fast nur an seinem Platz liegt, so eine aufwändige und bestimmt nicht billige Einrichtung bekommt! Ah... Dass Neuruppiner an der Herz As hängen kann ich durchaus verstehen. Aber dieses Schiff ist im Gegensatz zu vielen anderen Projekten NICHT FÜR VIELE BÜRGER. Sondern wenn überhaupt nur für ganz, ganz wenige - nämlich vor allem wohl für irgendwelche Vorstände "zu offiziellen Anlässen und Veranstaltungen". 

Genau DAS finanziere ich über den Strompreis mit. Ich und viele, viele andere Menschen mit niedrigem Einkommen finanzieren faktisch den Luxus, den sich der Stadtwerkevorstand für sich und andere Firmenvorstände und der Verwaltungsspitze in Form der Herz-As über die Stadtwerke als Firma leistet. Warum gründen die nicht einen eigenen Verein für das Schiff, in dem jeder der diesem Schiff hinterherheult, dann eintreten und mit seinem Beitrag dafür sorgen kann, dass die Finanzierung des Kahns gesichert ist? Weil... dann würden die ja das Geld nie zusammenbekommen, dass die Herz As alleine fürs rumliegen und nett aussehen verbraucht! Ich meine, das wollten die ja laut Zeitung schon 2006 machen, ist der Verein schon gegründet, der da angekündigt wurden - oder ist es doch viel schicker, wenn man sich seinen Dampfer von allen Leuten finanzieren lässt, damit man bei der Korsorfahrt und vielleicht beim Drachenbootrennen ein Schiff für "offizielle Veranstaltungen" hat?  

Für jeden Scheiß, der hier anfällt und wo die Stadtverwaltung rumjammert, sie haben keine Kohle, müssen die Stadtwerke einspringen, die WIR ALLE über Strom- und Wasserpreise mitfinanzieren. Mal so als Rechenbeispiel: Wenn jeder Haushalt im Monat 3 Euro mehr für Strom bezahlen muss, sind das pro Haushalt 36 Euro. Also ein kompletter Monatsabschlag bei uns. Nur: stellt euch vor, es gibt 10 000 Haushalte die bei den Stadtwerken Kunde sind und so viel mehr bezahlen müssen. Das sind dann im Jahr 360 000 Euro. 

Sie hätten also eigentlich genügend Geld, um KEINE Erhöhung des Strompreises zu fordern - und wer fest angestellt ist und ein gutes monatliches Salär hat, der hat auch mit 3 Euro im Monat sicherlich weit weniger ein Problem als hunderte von ALG2-Empfängern für die das im Monat viel Geld ist - und das Jobcenter wird nicht sagen: "Ui, das packen wir euch jetzt freiwillig und ohne Antrag einfach auf die monatlichen Leistungen drauf, denn wir kennen das Schreiben ja und wissen, wie viele unsere Kunden das betrifft!". 

Es wäre irgendwie auch viel fairer, zu schreiben: "Liebe Stromkunden in Neuruppin, leider haben wir so dermaßen viele Ausgaben außerhalb unserer Kernaufgabe, euch mit Strom und Wasser zu versorgen, dass wir mehr Geld brauchen. Dafür bezahlt ihr in Zukunft 3 Euro mehr über eure Stromrechnung!" DAS wäre transparenter und fair. Aber doch nicht "der Strompreis ist gestiegen und deshalb brauchen wir mehr Geld" wenn auf der anderen Seite mit vollen Händen das Geld für alles Mögliche ausgegeben wird, das nichts mit einer adäquaten Stromversorgung zu tun hat!

Überdies... ist es nicht (nach wie vor) verwunderlich, das man Bauernopfer Lenz fertig gemacht hat, wie sehr er doch die Stadtwerke ruiniert hat weil er dies, das und jenes über die Stadtwerke finanziert hat? Wie man ihm die Hölle heiß gemacht hat, bis er es nicht mehr ausgehalten hat? Und juppheidi, nach einer kurzen angemessenen Trauerzeit ist es möglich und voll in Ordnung, eigentlich GENAU SO zu handeln und für jeden möglichen und unmöglichen Kram Geld auszugeben? Und alle diejenigen, die "uuuuh, was für ein BÖSER MENSCH LENZ DOCH IST, ÄCHTET IHN!" machen das jetzt fröhlich mit und finden das total in Ordnung? 

Finde nur ich das unlogisch? Oder herrscht hier irgendwie nur dann eine Erinnerungskultur, wenn es um "nie wieder Nazis" geht? Wer mag, kann mir das gerne mal erklären. Auch Herr Lenz hätte ja einfach "huch, Strom ist teurer geworden, wir müssen leider den Strompreis erhöhen!!!" sagen können. Das war vor meiner Zeit. Ich kannte ihn nicht. Aber jetzt zu sehen, dass jetzt völlig selbstverständlich ist, wofür sich ein anderer letztlich umgebracht hat, weil man ihn plötzlich verachtet und gemieden hat... das ist widerlich. Einfach nur absolut widerlich. 


Wenn die Stadtwerke mit ihrer Strompreisankündigung eines geschafft haben, dann genau das, dass jetzt noch mehr Leute überlegen, ihren Stromanbieter zu wechseln und den lokalen Anbieter nicht mehr zu unterstützen, sondern irgendeine Callcenter-Firma mit netter Internetwerbung. Davon gibt es ja einen ganzen Haufen - und ja, auch ich werde gucken, was es so an alternativen Angeboten auf dem Strommarkt gibt.  

Mittwoch, 23. Mai 2018

Bombenstimmung in der Stadt, Teil 3





Freitag, 6 Tage vor Tag X

Der große Bilderbogen verkündet dass die Schüler der christlichen Schule einen Tag frei haben, wenn eine Bombe gefunden wird. Ferner hat das Lehrerkollegium beschlossen den Unterrichtsplan für die kommenden Tage zu ändern und mental sich auf die drohende Gefahr einzustellen. Eilig werden einige Großeltern aufgetrieben, die von ihren Kriegserlebnissen berichten. Einige Klassen brechen – angeführt von Mitgliedern der Pilgergruppe dieser Schule - mit Jutebeuteln zu Wandertouren auf um zu hamstern, im Kochunterricht wird eingeweckt und im Musikunterricht der Schwerpunkt auf Antikriegslieder gelegt.

Um die Massen an evakuierten Bewohnern unterbringen zu können, wird eng mit dem Übergangswohnheim in Treskow zusammen gearbeitet. Dort werden an dem Tag Notzelte mit Feldbetten aufgeschlagen, um die Massen an evakuierten Menschen unterbringen zu können. Serafin M., Bewohner des Übergangsheimes, erklärt in einem Interview mit dem regionalen TV-Sender stolz, er und alle anderen Bewohner wären überglücklich, den Menschen von Neuruppin so endlich mal etwas zurückgeben zu können. Um den Städtern einen Eindruck der vielfältigen Heimatkulturen zu bieten, wird ein Ochse organisiert, der dann am offenen Lagerfeuer gegrillt werden soll. Ferner werden beim örtlichen Gemüsegroßhandel 200 Kokosnüsse und zwei Säcke Palmblätter als ökologisches, nachwachsendes und traditionelles afrikanisches Geschirr geordert. Die Kindergruppe des Heimes wird von der Seniorenlandfrauengruppe gefragt, ob sie nicht zur Feier des Tages einen Regentanz aufführen möchte.

Zudem wird mit einem Eselhof sowie einer Kamelstation kooperiert, die an Tag X mit ihren Tieren um 6.30 Uhr auf dem Schulplatz stehen um Interessenten „eine authentische begleitete Flucht nach Treskow“ zu ermöglichen und so ansatzweise nachempfinden zu können, wie es den Asylbewerbern wohl ergangen ist. Ein Anbieter für Fußpflegeprodukten wird zusammen mit zwei Fußpflegern am Ziel den erschöpften Wanderern die Möglichkeit einer Fußmassage anbieten. Die Mineralwasserquelle aus der Region hat ebenfalls Interesse am Sponsoring bekundet. 

Das Cafe Hinterhof erweitert sein Angebot an Djembetrommeln um „natives Kommunikationstrommeln“ sowie „Gitarrenkurs zu den Songs >Hiroshima< und >Sag mir wo die Blumen sind< “. 

Die geheime Prepper-Gruppe beschließt kurzfristig ein Überlebenstraining in Brandenburgs Wildnis anzubieten, denn man weiß ja nie. IM „Holgi Pepperprepper“ verkündet, er hätte seine alten Seilschaften aktiviert, die selbstverständlich beim intensiven Training helfen würden. Bei Zahlung von 189 Euro auf sein Payback-Konto ichueberlebe ät ihrnicht punkt lol bis 24 Uhr wäre man einer von 9 exklusiven Teilnehmern und würde die Koordinaten für den Treffpunkt bekommen.

Samstag, 5 Tage vor Tag X

Schon um 7 Uhr füllen sich die Parkplätze vor den Lebensmittelmärkten mit Leuten, die zusätzlich zu ihrem üblichen „wir werden jämmerlich verhungern wenn der Kühlschrank nicht so voll gestopft ist, dass die Türe einen Spalt offen bleibt“ dann auch die Regale mit den sonst so verschmähten Konserven entdeckt.

Discounter, die gerade Werkzeug im Angebot haben, können bereits um 12 Uhr diese Regale leergefegt ins Lager schieben. 

In der ganzen Stadt gibt es keine Straßenmalkreide mehr zu kaufen. 

Vor dem 10 Meter langen Schraubenregal beim Baumarkt, der samstags geöffnet hat, streiten sich einige Männer darüber, wie bei einer Evakuierung die Fenster gegen Plünderer, die marodierend durch die Stadt streifen werden, am Besten zu sichern sind. Die Sägeabteilung hat bis auf die von ihnen selbst reservierten Platten den ganzen Tag OSB- und Multiplexplatten für Kunden in Fenstergrößen zugeschnitten. An der Info kommt es fast zu Prügeleien, was den Leihtransporter betrifft.

Die Filialleitung wird am Abend feststellen, dass alle Schrauben ab 50/35 mm ausverkauft sind, dazu der komplette Schnellzement sowie alle Pattextuben. Ebenfalls herrscht bei Lochblechen und dekorativen Fensterschutzgittern gähnende Leere in den Regalen. Von den Videosystemen zur Hausüberwachung ist immerhin noch die Hälfte da.

Um die Stimmung aufzuhellen und den Verkauf anzukurbeln, beschließt das Centermanagement, die Beschallungsanlage mit „I will survive“ von Gloria Gaynor in Endlosschleife zu bestücken. Bald darauf sieht man die ersten verstohlenen Tanzbewegungen zwischen Regalen.

In der Kleingartensparte „Abendfrieden“ sieht man vereinzelt alte Herren mit glänzenden Augen aus den Tiefen ihrer Schuppen verstaubte Kästen ziehen, die sie abgestaubt auf Zaunpfähle montieren und mit Drähten versehen. „Gegen Plünderpack!“ stellen sie mit einem Augenzwinkern fest.

Ein Knall durchbricht wenig später die friedliche Mischung zwischen Akkuschraubergequietsche, Sägegeräuschen und Vogelgezwitscher. 8 Minuten nach einem gellendem weiblichem „HUUUUUBERT“ brettert ein Rettungswagen mit Martinshorn und Blaulicht durch die Heckenwege, 15 Minuten später kreist ein Rettungshubschrauber auf der Suche nach einem Landeplatz über der Siedlung. Vereinzelt demontieren alte Männer erstaunlich schnell vor kurzem installierte Drähte und dekorieren verdächtige Kästen auf Zaunpfählen mit Mülltüten und Panzertape. Kurz darauf wimmelt es in der Anlage vor blaulichtflackernden Fahrzeugen in allerlei bunten Farben.

In der Stadtverwaltung klingelt das Telefon. Die Kreisveterinärin teilt mit, dass es derzeit leider keinen verendeten Wal geben würde, aber die Norwegische Botschaft hätte ein Angebot für einen ausgeschlachteten Pottwal abgeben. Vorsorglich fügt sie hinzu, das es auch keine gute Idee wäre „Kühe fliegen zu lassen“. Also doch das Winterfutter vom LPG-Verband.

In der Buschtrommel macht sich Entsetzen über den Vorfall in der Kleingartensparte „Abendfrieden“ breit und man ist sich schnell einig, dass „irgendein Vollpfosten so ein US-Schulmassaker als Vorbild hatte“.. Schnell füllt sich der Thread mit dutzenden von Handyfotos und -videos.

Erika S., ehemals glühende Verehrerin „vom einzig wahren Erich“ ahnt zwar, was tatsächlich passiert ist, greift sich aber kurz darauf den Reporter der bundesweiten Schundpresse und erzählt ihm von einer vermummten Gestalt mit Kalaschnikow. Zwei Stunden später ziert ihr entsetztes Konterfei überregional die Online-Version des Blattes, dekoriert mit der Schlagzeile „Blutiges Massaker mitten im Abendfrieden!“

Im Krisenstab bildet sich ob der aktuellen Ereignisse ein Krisenstab. Eine Flasche „Alter Zieten“ wird zur Erweiterung des Getränkeangebotes nachgeordert. Der Stadtverordnete Norbert M. erscheint im Rathaus und erinnert an seinen Vorschlag zur Bürgerwehr. Er hätte es ja schon immer gewusst. Wenn Bedarf bestehen würde, hätte er sofort 10 Leute mit paramilitärischer Ausbildung an der Hand, die notfalls mit einem Fallschirm aus Flugzeugen springen oder sich als Taucher unter Wasser anschleichen könnten. James Bond wäre dagegen eine hohle Schokoladenjahresendfigur. 







Fortsetzung folgt. Bleiben Sie dran!






Bombenstimmung in der Stadt, Teil 2

Bild: Meribo / Pixabay



Mittwoch, 8 Tage vor Tag X 



Spät in der Nacht klingelt beim Bürgermeister das Telefon. Ein Anruf aus Polen. Der Fahrer hat nur kurz auf der Autobahn an einem dunklen Rastplatz zum pinkeln angehalten und zack, schon war die Limousine verschwunden und mit ihr fünf Miniaturbomben für Testsprengungen auf dem Pappmodell. Mit dem Hinweis, dass man alles schon irgendwie hinbekommen würde, schließlich gäbe es ja den Bürgerhaushalt und der Fahrer wäre immerhin Bürger, wird dieser mit dem neuen Auftrag „Besorgen Sie noch eben 50 000 Hundekotbeutel, die sind dort günstiger und dann kriegen wir das schon hin“ versehen und zurückbeordert. 

Der Leiter des Kampfmittelräumdienstes merkt an, dass größere Mengen an weicherem Material benötigt werden, die aus Sicherheitsgründen um die Fundstelle herum aufgebaut werden müssen. Erste Nachfragen bei Massentierhaltungsbetrieben hätten horrende Preise ergeben. „Schließlich ist das unser Winterfutter, wenn das vernichtet ist, verhungern uns die Viecher!“ so der LPG-Verbandsvorsitzende Horst A.. Ferner wäre mittlerweile einer der beiden Denkmalschützer auf der Baustelle aufgetaucht und hätte nicht nur an die archäologisch notwendige Begleitung und Dokumentation bei Bodenarbeiten, sondern auch an den letzten Stadtbrand erinnert, der durch ein Büschel brennendes Stroh verursacht worden ist. Man beschließt beim Veterinäramt nachzufragen, ob ein verendeter Wal für die Absicherung der Sprenggrube zur Verfügung stehen würde. Der brennt nicht und das wäre auch viel ökologischer. Immerhin muss man ja irgendwie auch allen Auszeichnungen auf dem Briefkopf gerecht werden.

Der große Bilderbogen bringt digital das erste Bild von dem zu evakuierenden Bereich. Prompt regt sich der erste Protest. Bei Männern. Es würde EVAkuieren heißen. Das wäre aber nur auf Frauen bezogen und eine Sauerei, ob die Männer, die Adams, nur Kanonen – in dem Fall Bombenfutter wären. Zwei Stunden später trudelt via Mail die erste Beschwerde beim Gleichstellungsbeirat über das Wort „Evakuierung“ ein. Die Verwaltungsspitze beschließt, die ortsansässige Destillerie mit der Lieferung einer Flasche „Alter Zieten“ ins Rathaus zu beauftragen. Das würde unter „beruhigende Antikriegsführung“ sicherlich durchgehen und hätte sich ähnlich hier ja auch schon bei den Russen bewährt.

Die Sammler historischer Stadtbilder in der Buschtrommel beschließen, eine Art „Goodbye-Hommage“ an Neuruppin zusammenzustellen, falls die Bombe explodiert und – O-Ton Karl I.: „Binnen Sekunden Nichts mehr so sein wird, wie es immer war“. Burkhard J. erklärt sich tief bewegt bereit, aus allen zugesandten Bildern einen Film zusammenzustellen. Vitali O., begeisterter Hobbymusiker mit eigener Bontempi-Orgel steuert eine selbstkomponierte Filmmusik dazu bei. 86 Leute drücken gerührt auf „Gefällt mir“, 23 User posten „will haben... sooo schön!“. Selbst aus Karlsruhe, Norwegen und den USA kommen binnen weniger Stunden erste Interessensbekundungen an dem Dokumentarwerk.

Die ersten Geschäftsinhaber überlegen, was sie zum Katastrophentag als „Special“ anbieten können. Der Inhaber vom Kinopalast, der außerhalb des Sperrbezirks liegt, blockt für den Tag schon mal alle regulären Vorführungen. Nach einem Brainstorming mit Mitarbeitern ordert er beim Filmverleih „Apocalypse Now“, „Die Brücke“, „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, „Das Boot“ sowie „Stalingrad“ und „Vor uns die Hölle“.

Bestatter Kurt Z. fragt beim polnischen Sarghersteller an, wieviel Särge er für den Notfall auf Lager hätte und wie die Lieferkonditionen bei einer Großbestellung wären. 

Die örtlichen Glasereibetriebe werden vom Bundesverband der Glasindustie auf die Sonderkonditionen bei den Glasherstellern im Falle von Katastrophen hingewiesen. Die Glasindustie scannt das Web durch Bots automatisch nach bestimmten Schlagworten wie „Katastrophe, Bombe, Entschärfung, Sprengung“. 

Die Mitarbeiter der Holzabteilung des ortsansässigen Baumarktes reservieren sich schon mal eine Ladung OSB-Platten, markieren den Tag X im Kalender rot und mit „Auftragsarbeiten“ und grinsen hämisch.

Donnerstag, 7 Tage vor Tag X


Der Baggerfahrer des Kampfmittelräumdienstes, Martin H., findet morgens die Visitenkarte des Bestatters Kurt Z. mit dem Hinweis auf 5 % Rabatt bei Vorlage der Karte an seinem Bagger vor.

Die Stadtverwaltung bittet über den großen Bilderbogen die Mitbürger im zu evakuierenden Bereich darum, sich zu melden, wenn sie ihre Wohnungen nicht alleine verlassen können und gibt eine Telefonnummer durch. Zehn Minuten nachdem die Verwaltung an diesem Tag die Arbeit aufgenommen hat, bricht das Telefonnetz zusammen. Kleine Flammen schlagen aus dem Verteilerkasten im Keller, es riecht verschmort. 

15 Minuten später steht der komplette Löschzug der Feuerwehr mit flackerndem Blaulicht auf dem Rathausgelände und Feuerwehrleute mit schwerem Atemschutzgerät stürmen in den Keller, während die Mitarbeiter aus dem Rathaus stürmen und sich an den Versammlungspunkten zusammenrotten und sich über die zusätzliche Raucherpause freuen. Da Kaffee auch ganz praktisch wäre, beschließt jemand, den mobilen Kaffeelieferanten anzurufen, der auch Baustellen beliefert.

Durch einige Bürofenster ist ein Lichterflackern zu beobachten und nach einem mittellautem Knall ist im Rathaus alles dunkel, was sonst durch Elektrik irgendwie leuchtet. Mit lautem Geknatter kommt eine grüne Ape auf den Hof gefahren und alles strömt zum Kaffeelieferanten. Kurz darauf kommt der Eiswagen angefahren.

Henry W. Mitglied der Prepper-Gruppe OPR sitzt in seinem Auto vor der roten Ampel an der Kreuzung Fehrbelliner Straße/Karl-Marx-Straße und traut seinen Augen nicht. Während Neuruppin in wenigen Tagen wahrscheinlich Geschichte sein wird, feiert die Rathausbelegschaft ein Picknick draußen in der Sonne! Wütend zückt er sein Handy und drückt auf den Video-Button. Da kurz darauf die Ampel auf grün springt, wird es nur 3 Sekunden lang und sehr verwackelt. 10 Minuten später erscheint das Video mit dem Kommentar „Das darf doch nicht wahr sein!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! UNVERSCHÄMTHEIT!!!!!!!!!!!!!!!!! 111!!!“ auf der Buschtrommel. Knappe 20 Minuten später hat es 58 Likes, davon 16 mit Kotz-Smiley und 21 mit Wütend-Smiley. In den Kommentaren finden sich Äußerungen wie „die alten Säcke“, „haben den Schuss wohl nicht gehört“ sowie „und das von unseren Steuergeldern“ wieder.

Die Hilferufe und das einsame Klopfen vom unverbesserlichen Hubert Z. der einsam im Aufzug zwischen dem 4. und 3. Stockwerk festsitzt, hört niemand.




Fortsetzung folgt. Bleiben Sie dran!


Bombenstimmung in der Stadt, Teil 1

Bild: Merio / Pixabay

Montag, 10 Tage vor Tag X


Der große Bilderbogen der kleinen Provinzstadt Neuruppin verkünden digital ein sich annäherndes drohendes Unheil für die ganze Stadt. Bei Bodensondierungen wurde eine „Anomalie“ gefunden. Ähnlich wie bei Geflügel und anderem Getier vor einem Erdbeben, breitet sich wellenartig langsam Panik in der Stadt aus.

Wenig später wird der hiesigen Online-Buschtrommel „Du weißt du bist Ruppiner wenn...“ ein Screenshot der geheimen Prepper-Gruppe OPR zugespielt, auf dem zu lesen ist, das „IM Holgi Pepperprepper“ die Mitglieder der „Abteilung WK 1 – 3“ dazu aufruft, sich angesichts der Bedrohung umgehend mit den vorerst wichtigsten Überlebensmitteln einzudecken um bis Ultimo rund um die Uhr notfalls vom Klo aus der unwissenden und naiven Bevölkerung mit digitalem Rat zur Seite zu stehen. Im Nahversorgungszentrum am Reiz gibt es nur wenige Stunden nach dieser Meldung die ersten Engpässe bei Energie-Drinks, Kaffeepulver, Tiefkühlpizzen und Popcorn.

Während die Stadtverwaltung zusammen mit allen möglichen anderen Ämtern einen Krisenstab bildet um für das „was wäre, wenn das drohende Unheil unsere ganze Stadt wegfegt?“ gewappnet zu sein und an der Mesche eiligst das Pappmodell der Stadt um die Bahnhofsregion erweitert wird, verlässt des Nachts eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben die Stadt in Richtung Osten. 

Ihr Ziel: Babimost. Die Partnerstadt des brandenburgischen Provinzstädtchens in Polen. Der Auftrag: Für Probesprengungen am Stadtmodell sollen möglichst authentische Miniaturprengkörper eingesetzt werden und Polen sind dafür die Experten schlechthin.

Dienstag, 9 Tage vor Tag X


Bereits um 8:21 Uhr ist die Papierversion des großen Bilderbogens nirgendwo mehr offiziell erhältlich. Lediglich besser situiert aussehenden Interessenten werden unter dem Tresen gehandelte Exemplare zu regelrechten Wucherpreisen mit einem geraunten: „Vielleicht eine der letzten Exemplare überhaupt!“ angeboten. Die hiesigen Baumärkte verzeichnen eine erhöhte Nachfrage nach Metallkisten und erdfesten Tresoren.

In der ABM-Werkstatt an der Mesche werden die Medikamentenverpackungen für die Miniaturhäuser knapp. Der Nachschub vom Klinikum wird mit den Rettungshubschrauber eingeflogen, für dessen Landung ein halbes Getreidefeld kurzerhand mit allen auf dem Hof der Werkstatt herumstehenden Fahrzeugen plattgefahren wurde. Der durch die Rotorblätter aufgewirbelte Staub lässt alle Anwesenden binnen Sekunden wie Darsteller aus dem Film „Lawrence von Arabien“ aussehen. In drei anwesenden Kleingärten verabschieden sich ein Vordach, zwei Sonnenschirme und ein Pavillon. Letzteres schwebt geradezu majästätisch gen Himmel um sich kurz darauf in den Kabeln der Stromtrasse zu verfangen und damit ein Höhenfeuerwerk auszulösen. Sekunden später herrscht in der halben Stadt Stromausfall.

Die geheime Prepper-Gruppe OPR hat einen eigenen Krisenstab gebildet, dessen Aufgabe ist, online alle besorgten Bürger aufzumuntern. Ausgerüstet mit je 20 Litern Energie-Drinks, 3 Packungen Kaffeepulver sowie 10 Tiefkühlpizzen pro Person ziehen sich die Mitglieder nach einem gemeinsam gebrüllten „Allzeit bereit!“-Ruf, festem Händedruck und mit Tränen der Rührung in den Augen in ihre Wohnungen zurück um sich ihrer wichtigen Aufgabe zu widmen. Erich H. Senior-Prepper der alten Schule fängt an zu schluchzen: „Männer, das ist wie früher! Das ich das noch mal erleben darf bevor ich sterbe!“.

Die Ämter haben mittlerweile auf einer Karte einen Sperrkreis ausgehandelt: Auf einer aufgehängten Karte wird der Fundort der Anomalie mit einem großen X gekennzeichnet. Damit auch jeder Anwesende seinen Beitrag zur Sperrzone leisten kann, werden Dartpfeile verteilt. So hat jeder schnell und effektiv seinen Beitrag zur Evakuierungszone beigetragen. Jeder bis auf den Bürgermeister. Der braucht ein bisschen länger, immerhin möchte er auf keinen Fall den Pfeil in den See versenken, sondern genau an der Kreuzung Präsidentenstraße/Regattastraße an der Stadtmauer. Um Inklusion zu leben, bekam die anwesende Behinderte dann ein Knäuel rote Wolle und den Auftrag, diese um die Dartpfeile zu wickeln, damit für jeden die Grenzen ersichtlich sind. Dankbar und glücklich sich mit so einer wichtigen Aufgabe einbringen zu können, machte sie sich an die Arbeit. 

Währenddessen schaut Gundula F. aus ihrer Höhle im 5. Stock des WK 3 auf die Stadt herunter, schlurft zu ihrem Personal-Computer und tippt die folgenschwere Nachricht ein: "Was soll denn die ganze Panikmache jetzt schon, man weiß ja noch nicht einmal, was das ist!". Wenig später klappt Verschwörungstheoretiker Oha Watnspinner drei Dörfer weiter in seinem Baumhaus sein solarstrombetriebenes Notepad auf, liest diese Zeilen und rennt elektrisiert zum Bücherregal um aus dem untersten Regal ein sehr altes in Leder gebundenes Buch seiner Ururururgroßmutter zu ziehen. Diese landete vor 200 Jahren nach verlorener Hexenprobe im See zum trocknen auf einem Scheiterhaufen vor der Stadt.








Fortsetzung folgt, bleiben Sie dran! 

Donnerstag, 29. März 2018

Was Barrierefreiheit und Teilhabe mit Gulasch zu tun haben.


Ach was? Seit es die Stadt-Ratte gibt, dümpeln die Posts recht übersichtlich im zweistelligen Bereich vor sich hin. Egal, was ich schreibe und dann auch als Beitrag teile. Aber siehe da, der "So, jetzt habe ich aber die Schnauze voll"-Bericht knackt nach wenigen Tagen mal eben locker die Tausender-Marke. Oh... 

Nun ja, weil ich bei einigen Leuten ja den Ruf weghabe, das man es mir ja sowieso nicht recht machen kann und ich an allem herumzumeckern habe, gab es gleich die nächste Diskussion. "Checkpoint grün" hat von mir eine rote Karte bekommen. 

Die BündnisGrünen haben nämlich eine Informationsveranstaltung zur Landratswahl organisiert - und völlig vergessen, das vielleicht auch Menschen sich gerne dort informieren würden, deren "Füße rund sind". Die also im Rollstuhl sitzen. Was aber eben bei dem Ort nicht geht, weil er - wie so viele anderen Veranstaltungsorte hier in Neuruppin - für Rollstuhlfahrer nicht erreichbar ist. 

Es kamen dann auch Vorschläge wie: "Es finden sich bestimmt ein paar starke Männer, die den Rolli dann die Treppe hoch tragen". Das ist nett - aber es löst das Problem nicht. Es wirft nur weitere Probleme auf - denn es klingt zwar einfach "dann tragen wir den Rolli eben hoch" - aber wenn die Treppe enger ist, dann wird so etwas durchaus schwierig. Unerfahrene Helfer können auch mehr Schaden anrichten als alles ander - sowohl beim Rolli als auch bei dem, der im Rolli sitzt. 

Dazu kommt - was ist, wenn es ein E-Rolli ist, der mitunter schon ein erhebliches Eigengewicht hat, das durchaus 100 kg erreichen kann? PLUS das Gewicht desjenigen, der drin sitzt. Da streikt jeder "nette freiwillige starke Helfer". Noch etwas, das hat mir vor einiger Zeit ein Video eines Aktivisten klar gemacht, der zu einer Sitzung in einer Gaststätte eingeladen war. Rein ist er ja gekommen - und dann hat er festgestellt: Jeder sitzt dort, isst und trinkt und hat die Möglichkeit, dort selbstverständlich auf Toilette zu gehen. Er aber nicht. Ich denke, jeder kennt es, wie es ist, wenn man ganz nötig mal muss. Es gibt ohnehin nicht viele Toiletten, die mit Rollstuhl wirklich nutzbar sind - denn überlegt mal: Man muss mit dem Rollstuhl dort hinein kommen können UND sich dann dort drin noch teilweise ausziehen und umsetzen können. Das möchte man natürlich nicht als Peepshow machen und die Türe auf lassen, sondern genau wie jeder andere hinter verschlossenen Türen. 

Das würde also im Extremfall bedeuten - man kommt zu so einem Veranstaltungsort mit einem Rolli, wird die Treppe raufgehievt, trinkt wie viele andere dort auch etwas, z. B. ein Bier - und muss dann auf Klo. Das ist dann wiederum unten. Also Rolli wieder runterhieven lassen, den Helfern sagen, sie sollen warten, auf Klo gehen, Rolli wieder die Treppen rauf, Veranstaltung zu Ende besuchen und dann Rolli wieder die Treppen runter. Ich glaube, das würden viele Helfer nicht mitmachen und mit ganz viel Pech steht man dann am Veranstaltungsende mit Rolli oben und alle "ich hab Rücken"-Leute sind weg. 

Wobei das ja andere Parteien auch ganz hervorragend mit ihren Veranstaltungen können. Egal ob man sich beim Griechen in der Bilderbogen-Passage oder im Tempelgarten oder im Rosengarten trifft. Sitzen Menschen im Rollstuhl, sind sie von den Veranstaltungen genau derer, die sich auf jeder Wahl und in vielen Social-Media-Postings so schön mit Teilhabe und Inklusion beschäftigen, ausgeschlossen. Ich glaube, das einzige Parteibüro, das in Neuruppin ohne Stufen erreichbar ist, hat die CDU. 

Aber eigentlich werden ja nicht nur Rollifahrer von solchen Veranstaltungsorten ausgeschlossen. Auch Menschen, die von ALG2 leben werden es eigentlich. Denn "ich besuche eine Informationsveranstaltung zur Landratswahl in einer Gaststätte, weil ich mich sinnvoll entscheiden möchte" ist bei der Minimalversorgung nicht vorgesehen. 

Würden aber Parteien und Wählergruppen sich entscheiden, solche Veranstaltungen "barrierefrei" für Rollstuhlfahrer und Bezieher von ALG2 zu machen, müssten sie eine ganze Menge Geld dafür aufwenden. Denn barrierefreie Veranstaltungsräume gehören hier in Neuruppin meistens der Stadt. Die diese Räume vermietet und auch alle zwei Jahre die Miete neu anpasst. 

Ich habe überlegt, wie ich das mit dem "als Begriff im Gehirn ankommen" am Besten beschreiben kann. Mir ist Gulasch eingefallen (ich bin ein bisschen verfressen). Wenn man den meisten Leuten erzählt: "Es gibt Gulasch", dann wissen die sofort, was gemeint ist. Vielleicht fragen sie auch noch "mit Spätzle, Nudeln, Kartoffeln oder Klößen?". Sie sehen vor ihrem geistigen Auge ein Bild vom Gulasch, manch einer merkt, wie ihm das Wasser im Mund zusammen läuft, nur weil er an Gulasch denkt, und riecht es förmlich schon. Er weiß, wie es schmecken soll, wie die Konsistenz am Besten ist und womöglich sogar, wie man es kocht. Wenn er ganz gut ist, weiß er sogar, wie man es ohne "Tütengebrösel" kocht und was man dafür so braucht. Also ohne die ganzen Fix-und-Fertig-Einheitsgeschmack-Tütenwürze. 

Ich hoffe, ich habe euch jetzt Hunger gemacht. Auf Gulasch. 

Aber was hat Gulasch jetzt mit barrierefrei und Teilhabe zu tun? WAS taucht in euren Köpfen auf, wenn ihr diese Wörter hört oder lest? WAS verknüpft ihr sofort, ohne viel Nachdenken innerhalb von wenigen Sekunden mit dem Begriff Teilhabe? 

Seht ihr, genau DAS hat es damit zu tun!

Für wahrscheinlich über 90 % von euch sind "Barrierefrei" und "Teilhabe" vor allem WÖRTER. Ihr verknüpft sie mit "rollitauglich" und "sollte üblich sein". Aber es ist eben nicht so wie beim Wort "Gulasch", dass euch sofort ein Bild vor Augen kommt, dass ihr wisst, auf was noch alles zu achten ist, wie es am Besten geht... 

Barrierefreiheit (und die wird es so ohnehin nie geben) und Teilhabe wird es erst dann wirklich geben, wenn diese Wörter in den Gehirnen der meisten Menschen genau so eine Wirkung haben wie das Wort "Gulasch". 

Ich wünsche allen erholsame Feiertage! 

Nachtrag...

ich muss das noch ergänzen. Und zwar hat Pro Ruppin zwar kein Büro, aber die treffen sich ziemlich rollitauglich im Alten Casino. Das hat zwar jetzt dann keine rollitaugliche Toilette, aber der Coup bei Goldes war ja, das die so ein Teil quasi "wie früher einmal über den Hof und dann das Häuschen mit dem Herz drauf" direkt nebenan haben. Auf dem Spielplatz. Zwar ohne Herzchenfenster in der Türe, aber mit Rolli benutzbar. ;-)












Donnerstag, 15. März 2018

Gute Ideen überall - könnte man importieren!



Wir sind ja viel unterwegs. Mal zu zweit (Joey und ich), mal zu dritt (Nick, Joey und ich). Schon letztes Jahr im Urlaub in Wachtendonk haben wir so ein Ding gesehen. Das fanden wir ganz toll und weil Neuruppin zum Beispiel auch eine Badestelle gegenüber dem EVI hat, sehr importierenswert für unsere Stadt. 

Nun waren wir letztens in Lindow am Wutzsee. Siehe da: auch dort steht so ein Ding! Gerade komme ich aus Wustrau zurück - an der Badestelle zwischen Wustrau und Alt-Friesack steht auch eines. 

Sieh mal einer an. An vielen Orten ist es möglich, sich an Badestellen umzuziehen, ohne blöde angeglotzt zu werden. Nur in Neuruppin funktioniert das irgendwie nicht. Warum? Die Dinger sind einfach gebaut, kosten im Prinzip auch nicht viel - und sind einfach ein toller Sichtschutz, damit man beim Umziehen am See nicht blöde angeglotzt wird. 

Denn gerade am Evi habe ich das schon öfters erlebt, dass die Schüler da einfach nur saudämlich glotzen und blöde Sprüche reißen, insbesondere wenn Frauen baden wollen und sich umziehen. 

Warum nicht einfach mal von den Umlandgemeinden lernen, wie man mit wenig Aufwand so eine blöde Glotzerei abstellen kann?