Mittwoch, 23. Mai 2018

Bombenstimmung in der Stadt, Teil 1

Bild: Merio / Pixabay

Montag, 10 Tage vor Tag X


Der große Bilderbogen der kleinen Provinzstadt Neuruppin verkünden digital ein sich annäherndes drohendes Unheil für die ganze Stadt. Bei Bodensondierungen wurde eine „Anomalie“ gefunden. Ähnlich wie bei Geflügel und anderem Getier vor einem Erdbeben, breitet sich wellenartig langsam Panik in der Stadt aus.

Wenig später wird der hiesigen Online-Buschtrommel „Du weißt du bist Ruppiner wenn...“ ein Screenshot der geheimen Prepper-Gruppe OPR zugespielt, auf dem zu lesen ist, das „IM Holgi Pepperprepper“ die Mitglieder der „Abteilung WK 1 – 3“ dazu aufruft, sich angesichts der Bedrohung umgehend mit den vorerst wichtigsten Überlebensmitteln einzudecken um bis Ultimo rund um die Uhr notfalls vom Klo aus der unwissenden und naiven Bevölkerung mit digitalem Rat zur Seite zu stehen. Im Nahversorgungszentrum am Reiz gibt es nur wenige Stunden nach dieser Meldung die ersten Engpässe bei Energie-Drinks, Kaffeepulver, Tiefkühlpizzen und Popcorn.

Während die Stadtverwaltung zusammen mit allen möglichen anderen Ämtern einen Krisenstab bildet um für das „was wäre, wenn das drohende Unheil unsere ganze Stadt wegfegt?“ gewappnet zu sein und an der Mesche eiligst das Pappmodell der Stadt um die Bahnhofsregion erweitert wird, verlässt des Nachts eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben die Stadt in Richtung Osten. 

Ihr Ziel: Babimost. Die Partnerstadt des brandenburgischen Provinzstädtchens in Polen. Der Auftrag: Für Probesprengungen am Stadtmodell sollen möglichst authentische Miniaturprengkörper eingesetzt werden und Polen sind dafür die Experten schlechthin.

Dienstag, 9 Tage vor Tag X


Bereits um 8:21 Uhr ist die Papierversion des großen Bilderbogens nirgendwo mehr offiziell erhältlich. Lediglich besser situiert aussehenden Interessenten werden unter dem Tresen gehandelte Exemplare zu regelrechten Wucherpreisen mit einem geraunten: „Vielleicht eine der letzten Exemplare überhaupt!“ angeboten. Die hiesigen Baumärkte verzeichnen eine erhöhte Nachfrage nach Metallkisten und erdfesten Tresoren.

In der ABM-Werkstatt an der Mesche werden die Medikamentenverpackungen für die Miniaturhäuser knapp. Der Nachschub vom Klinikum wird mit den Rettungshubschrauber eingeflogen, für dessen Landung ein halbes Getreidefeld kurzerhand mit allen auf dem Hof der Werkstatt herumstehenden Fahrzeugen plattgefahren wurde. Der durch die Rotorblätter aufgewirbelte Staub lässt alle Anwesenden binnen Sekunden wie Darsteller aus dem Film „Lawrence von Arabien“ aussehen. In drei anwesenden Kleingärten verabschieden sich ein Vordach, zwei Sonnenschirme und ein Pavillon. Letzteres schwebt geradezu majästätisch gen Himmel um sich kurz darauf in den Kabeln der Stromtrasse zu verfangen und damit ein Höhenfeuerwerk auszulösen. Sekunden später herrscht in der halben Stadt Stromausfall.

Die geheime Prepper-Gruppe OPR hat einen eigenen Krisenstab gebildet, dessen Aufgabe ist, online alle besorgten Bürger aufzumuntern. Ausgerüstet mit je 20 Litern Energie-Drinks, 3 Packungen Kaffeepulver sowie 10 Tiefkühlpizzen pro Person ziehen sich die Mitglieder nach einem gemeinsam gebrüllten „Allzeit bereit!“-Ruf, festem Händedruck und mit Tränen der Rührung in den Augen in ihre Wohnungen zurück um sich ihrer wichtigen Aufgabe zu widmen. Erich H. Senior-Prepper der alten Schule fängt an zu schluchzen: „Männer, das ist wie früher! Das ich das noch mal erleben darf bevor ich sterbe!“.

Die Ämter haben mittlerweile auf einer Karte einen Sperrkreis ausgehandelt: Auf einer aufgehängten Karte wird der Fundort der Anomalie mit einem großen X gekennzeichnet. Damit auch jeder Anwesende seinen Beitrag zur Sperrzone leisten kann, werden Dartpfeile verteilt. So hat jeder schnell und effektiv seinen Beitrag zur Evakuierungszone beigetragen. Jeder bis auf den Bürgermeister. Der braucht ein bisschen länger, immerhin möchte er auf keinen Fall den Pfeil in den See versenken, sondern genau an der Kreuzung Präsidentenstraße/Regattastraße an der Stadtmauer. Um Inklusion zu leben, bekam die anwesende Behinderte dann ein Knäuel rote Wolle und den Auftrag, diese um die Dartpfeile zu wickeln, damit für jeden die Grenzen ersichtlich sind. Dankbar und glücklich sich mit so einer wichtigen Aufgabe einbringen zu können, machte sie sich an die Arbeit. 

Währenddessen schaut Gundula F. aus ihrer Höhle im 5. Stock des WK 3 auf die Stadt herunter, schlurft zu ihrem Personal-Computer und tippt die folgenschwere Nachricht ein: "Was soll denn die ganze Panikmache jetzt schon, man weiß ja noch nicht einmal, was das ist!". Wenig später klappt Verschwörungstheoretiker Oha Watnspinner drei Dörfer weiter in seinem Baumhaus sein solarstrombetriebenes Notepad auf, liest diese Zeilen und rennt elektrisiert zum Bücherregal um aus dem untersten Regal ein sehr altes in Leder gebundenes Buch seiner Ururururgroßmutter zu ziehen. Diese landete vor 200 Jahren nach verlorener Hexenprobe im See zum trocknen auf einem Scheiterhaufen vor der Stadt.








Fortsetzung folgt, bleiben Sie dran! 

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