Donnerstag, 29. März 2018

Was Barrierefreiheit und Teilhabe mit Gulasch zu tun haben.


Ach was? Seit es die Stadt-Ratte gibt, dümpeln die Posts recht übersichtlich im zweistelligen Bereich vor sich hin. Egal, was ich schreibe und dann auch als Beitrag teile. Aber siehe da, der "So, jetzt habe ich aber die Schnauze voll"-Bericht knackt nach wenigen Tagen mal eben locker die Tausender-Marke. Oh... 

Nun ja, weil ich bei einigen Leuten ja den Ruf weghabe, das man es mir ja sowieso nicht recht machen kann und ich an allem herumzumeckern habe, gab es gleich die nächste Diskussion. "Checkpoint grün" hat von mir eine rote Karte bekommen. 

Die BündnisGrünen haben nämlich eine Informationsveranstaltung zur Landratswahl organisiert - und völlig vergessen, das vielleicht auch Menschen sich gerne dort informieren würden, deren "Füße rund sind". Die also im Rollstuhl sitzen. Was aber eben bei dem Ort nicht geht, weil er - wie so viele anderen Veranstaltungsorte hier in Neuruppin - für Rollstuhlfahrer nicht erreichbar ist. 

Es kamen dann auch Vorschläge wie: "Es finden sich bestimmt ein paar starke Männer, die den Rolli dann die Treppe hoch tragen". Das ist nett - aber es löst das Problem nicht. Es wirft nur weitere Probleme auf - denn es klingt zwar einfach "dann tragen wir den Rolli eben hoch" - aber wenn die Treppe enger ist, dann wird so etwas durchaus schwierig. Unerfahrene Helfer können auch mehr Schaden anrichten als alles ander - sowohl beim Rolli als auch bei dem, der im Rolli sitzt. 

Dazu kommt - was ist, wenn es ein E-Rolli ist, der mitunter schon ein erhebliches Eigengewicht hat, das durchaus 100 kg erreichen kann? PLUS das Gewicht desjenigen, der drin sitzt. Da streikt jeder "nette freiwillige starke Helfer". Noch etwas, das hat mir vor einiger Zeit ein Video eines Aktivisten klar gemacht, der zu einer Sitzung in einer Gaststätte eingeladen war. Rein ist er ja gekommen - und dann hat er festgestellt: Jeder sitzt dort, isst und trinkt und hat die Möglichkeit, dort selbstverständlich auf Toilette zu gehen. Er aber nicht. Ich denke, jeder kennt es, wie es ist, wenn man ganz nötig mal muss. Es gibt ohnehin nicht viele Toiletten, die mit Rollstuhl wirklich nutzbar sind - denn überlegt mal: Man muss mit dem Rollstuhl dort hinein kommen können UND sich dann dort drin noch teilweise ausziehen und umsetzen können. Das möchte man natürlich nicht als Peepshow machen und die Türe auf lassen, sondern genau wie jeder andere hinter verschlossenen Türen. 

Das würde also im Extremfall bedeuten - man kommt zu so einem Veranstaltungsort mit einem Rolli, wird die Treppe raufgehievt, trinkt wie viele andere dort auch etwas, z. B. ein Bier - und muss dann auf Klo. Das ist dann wiederum unten. Also Rolli wieder runterhieven lassen, den Helfern sagen, sie sollen warten, auf Klo gehen, Rolli wieder die Treppen rauf, Veranstaltung zu Ende besuchen und dann Rolli wieder die Treppen runter. Ich glaube, das würden viele Helfer nicht mitmachen und mit ganz viel Pech steht man dann am Veranstaltungsende mit Rolli oben und alle "ich hab Rücken"-Leute sind weg. 

Wobei das ja andere Parteien auch ganz hervorragend mit ihren Veranstaltungen können. Egal ob man sich beim Griechen in der Bilderbogen-Passage oder im Tempelgarten oder im Rosengarten trifft. Sitzen Menschen im Rollstuhl, sind sie von den Veranstaltungen genau derer, die sich auf jeder Wahl und in vielen Social-Media-Postings so schön mit Teilhabe und Inklusion beschäftigen, ausgeschlossen. Ich glaube, das einzige Parteibüro, das in Neuruppin ohne Stufen erreichbar ist, hat die CDU. 

Aber eigentlich werden ja nicht nur Rollifahrer von solchen Veranstaltungsorten ausgeschlossen. Auch Menschen, die von ALG2 leben werden es eigentlich. Denn "ich besuche eine Informationsveranstaltung zur Landratswahl in einer Gaststätte, weil ich mich sinnvoll entscheiden möchte" ist bei der Minimalversorgung nicht vorgesehen. 

Würden aber Parteien und Wählergruppen sich entscheiden, solche Veranstaltungen "barrierefrei" für Rollstuhlfahrer und Bezieher von ALG2 zu machen, müssten sie eine ganze Menge Geld dafür aufwenden. Denn barrierefreie Veranstaltungsräume gehören hier in Neuruppin meistens der Stadt. Die diese Räume vermietet und auch alle zwei Jahre die Miete neu anpasst. 

Ich habe überlegt, wie ich das mit dem "als Begriff im Gehirn ankommen" am Besten beschreiben kann. Mir ist Gulasch eingefallen (ich bin ein bisschen verfressen). Wenn man den meisten Leuten erzählt: "Es gibt Gulasch", dann wissen die sofort, was gemeint ist. Vielleicht fragen sie auch noch "mit Spätzle, Nudeln, Kartoffeln oder Klößen?". Sie sehen vor ihrem geistigen Auge ein Bild vom Gulasch, manch einer merkt, wie ihm das Wasser im Mund zusammen läuft, nur weil er an Gulasch denkt, und riecht es förmlich schon. Er weiß, wie es schmecken soll, wie die Konsistenz am Besten ist und womöglich sogar, wie man es kocht. Wenn er ganz gut ist, weiß er sogar, wie man es ohne "Tütengebrösel" kocht und was man dafür so braucht. Also ohne die ganzen Fix-und-Fertig-Einheitsgeschmack-Tütenwürze. 

Ich hoffe, ich habe euch jetzt Hunger gemacht. Auf Gulasch. 

Aber was hat Gulasch jetzt mit barrierefrei und Teilhabe zu tun? WAS taucht in euren Köpfen auf, wenn ihr diese Wörter hört oder lest? WAS verknüpft ihr sofort, ohne viel Nachdenken innerhalb von wenigen Sekunden mit dem Begriff Teilhabe? 

Seht ihr, genau DAS hat es damit zu tun!

Für wahrscheinlich über 90 % von euch sind "Barrierefrei" und "Teilhabe" vor allem WÖRTER. Ihr verknüpft sie mit "rollitauglich" und "sollte üblich sein". Aber es ist eben nicht so wie beim Wort "Gulasch", dass euch sofort ein Bild vor Augen kommt, dass ihr wisst, auf was noch alles zu achten ist, wie es am Besten geht... 

Barrierefreiheit (und die wird es so ohnehin nie geben) und Teilhabe wird es erst dann wirklich geben, wenn diese Wörter in den Gehirnen der meisten Menschen genau so eine Wirkung haben wie das Wort "Gulasch". 

Ich wünsche allen erholsame Feiertage! 

Nachtrag...

ich muss das noch ergänzen. Und zwar hat Pro Ruppin zwar kein Büro, aber die treffen sich ziemlich rollitauglich im Alten Casino. Das hat zwar jetzt dann keine rollitaugliche Toilette, aber der Coup bei Goldes war ja, das die so ein Teil quasi "wie früher einmal über den Hof und dann das Häuschen mit dem Herz drauf" direkt nebenan haben. Auf dem Spielplatz. Zwar ohne Herzchenfenster in der Türe, aber mit Rolli benutzbar. ;-)












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