Montag, 29. Mai 2017

Du bringst deine Stadt um, wenn du online kaufst - oder? Teil 1

Da es ja blöd wäre, wenn ich nur die zweite Antwort auf dieses "Teil mich"-Bildchen bloggen würde, das ich auf Facebook gefunden habe, dann hier noch die erste Antwort darauf, leicht ergänzt: 


Quelle: Facebool


a) Meine Paketzusteller wollen auch alle leben. Gut, das ist ein bisschen heikel, weil Amazon einen spezielleren Deal mit DHL und Hermes hat und extrem wenig Frachtkosten für größtmögliche Leistung haben will – aber trotz alledem sichern meine Bestellungen ein kleines bisschen auch Arbeitsplätze. Zum Beispiel den von meinem Mann.

b) Ich habe kein Auto. Im Gegensatz zu Menschen mit Auto kann ich nun einmal nicht großartig herumfahren, zu anderen Baumärkten etc. um dort vielleicht das zu finden, was ich brauche, wenn ich es hier in der Stadt nicht bekomme. Ohne Auto ist man ohnehin ein Mensch mit weniger Wert für viele andere Leute, die einem ständig erzählen, wo sie überall waren und was sie sich da alles gekauft haben. Ergo muss ich mir Sachen bestellen.

c) Ich habe nicht viel Geld. Bevor ich also zum hiesigen Händler gehe und sage: „Ich möchte, dass Sie mir diesen Fleischwolf bestellen!“ und dafür dann noch die Gewinnmarge des Händlers draufzahlen muss, weil er den für mich bestellt und das vielleicht sogar zum Schnäppchenpreis, bestelle ich den doch lieber selbst und freue mich, wenn ich dabei etwas gespart habe. Wenn ich ein Spiel haben möchte, das vielleicht aus einem Kleinverlag kommt, der „Otto Familienspieler“ eher unbekannt ist, dann muss ich das auch bestellen. Habe ich ausprobiert. „Patchwork“ von Lookoutgames war hier nicht zu bekommen. Nicht einmal die Grundspiele von Carcassonne und Siedler von Catan, die hätte ich ja ersatzweise auch noch genommen.

d) Ich lasse mir von niemandem gerne vorschreiben, was mir zusteht oder was ich machen darf. Das wäre auch so, wenn man mir vorschreiben würde, nur noch hier lokal einzukaufen. Denn das würde meine Möglichkeiten und meine Kreativität enorm einschränken, weil wir halt in einer Kleinstadt leben, die nur ein sehr begrenztes Angebot hat und das, was man gerne hätte, mitunter auch nur in einer Qualität oder einem Hintergrund, die ich nicht möchte.

e) Manche Menschen können auch aus gesundheitlichen Gründen nur recht eingeschränkt lokal einkaufen. Zum Beispiel, weil es hier ihre Hilfsmittel nicht gibt. Oder weil hier fast 90 % der Läden nur über Treppenstufen zugänglich sind und so eng verbaut, dass man mit einem Rolli oder Rollator kaum eine Chance hat, den Ladeninnenraum überhaupt zu nutzen. Manchmal kommen sie aber eben auch gar nicht erst in die Stadt, weil sie auf dem Dorf wohnen, kein Bus fährt und Taxi zu teuer ist. Mitunter haben sie aber auch ein Problem, weil sie es psychisch nicht können. Bei einer Traumafolgestörung zum Beispiel. Oder weil sie ihren Hund nicht mit in den Laden nehmen dürfen.

Ich mag Amazon, Zooplus, die Spiele-Offensive, ZVAB, LandsEnd und wie sie alle heißen. Denn alle diese Läden ermöglichen mir, genau DAS zu bekommen, was ich tatsächlich gerne hätte, wenn ich es vor Ort aus irgendwelchen Gründen nicht bekomme. Dort muss ich mich nicht mit „aber der Hund bleibt draußen!“, oder „das haben wir nicht“ zufrieden geben, ich habe Zeit, mir Dinge auszuwählen ohne dass mich ein Verkäufer oder andere Kunden nerven und ich bin nicht weniger Wert, weil ich kein Auto habe oder einen Privatchauffeur, ein geringes Einkommen, einen Knacks in der Seele oder ohne Assistenzhund oft aufgeschmissen.

Auch ich sichere Arbeitsplätze, wie oben schon erwähnt. Die von denen, die in den Firmen arbeiten, bei denen man online bestellen kann. Mitunter sind es auch ganz normale Läden, die zusätzlich bei Amazon Market-Place oder im ZVAB anbieten. Beim ZVAB, dem Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher findet man übrigens auch das Antiquariat "Ruppiner Lesezeichen" aus meiner Nachbarschaft.  Ich sichere Arbeitsplätze in den Firmen, die Verpackungmaterial herstellen, damit man mir die Sachen schicken kann und die Arbeitsplätze in den Großlagern wie zum Beispiel in Brieselang, was ja auch regional ist. Und die Zusteller, die den ganzen Kram vorbei bringen, wollen auch leben.

Und ja, man kann sich sicherlich über viele Arbeitsbedingungen in den ganz verschiedenen Firmen streiten und es zum Teil nicht gut finden – aber hey, dass Menschen in Werkstätten für Behinderte für einen Stundenlohn von knapp einem Euro Akkordarbeit machen, da brüllt ja auch kaum jemand rum und pocht auf wenigstens den halben Mindestlohn, damit durch die andere Hälfte der Mehraufwand an Betreuung dort gesichert bleibt und dass die Leute der GaLa-Truppe dort für das Rasenmähen und harken in der Siedlung deshalb weit weniger ausbezahlt bekommen als Mitarbeiter einer regulären GaLa-Firma stört offensichtlich auch keinen. Es ist auch nicht so, dass die Werkstätten sagen: "Liebe Firmen, wir übernehmen Arbeiten für euch, dafür dauert das aber länger und die Qualität ist schlechter" - sondern es wird ganz konkret mit hoher Qualität und großer Flexibilität geworben. 


Bei Müttern und pflegenden Angehörigen ist auch egal, wie sehr sie sich abrackern und ohne viele, viele tausend Ehrenamtler und Praktikanten, die oft nur ein feuchtes „Dankeschön“ für ihre Arbeit hingemurmelt bekommen, wäre unser Land völlig aufgeschmissen.

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