Dienstag, 21. Juli 2015

"Es werde Licht!" sagte die Oberratte und der Mensch erschuf die Gesetze...



Es ist ja nicht so, das ich es einfach so auf den vorherigen Text beruhen lasse, ein bisschen neugierig war ich dann schon, zumal ja ein Artikel veröffentlicht wurde, indem gefragt wurde, warum die Innenstadt anders behandelt wird als das Gewerbegebiet auf dem der Hangar steht mit angrenzendem Wohngebiet.

Also habe ich ein bisschen gegoogelt – leider hat mein Rechner mich dann etwas im Stich gelassen, indem er die PDF´s nicht komplett hochgeladen hat. Zum Beispiel die „Arbeitshilfe Bebauungsplanung“ vom Brandenburgischem Landesministerium.

Ich fange mal mit dem Stadtplan an. Wenn ihr auf ein Navi guckt oder bei Google Maps, dann seht ihr eine normale Karte: Straßen, Gebäude, Grünflächen. Wie eine Karte eben so aussieht. Aber es gibt viele ganz unterschiedliche Karten und zwei davon ist für eine Stadt ganz wichtig, die nennen sich „Flächennutzungssplan“ (FNP, der legt auf etwa 10 Jahre die Entwicklung einer Fläche fest) und das andere ist der „Bebauungsplan“. In einem Bebauungsplan sind verschiedene Bereiche je nach Nutzung oder vorgesehener Nutzung mit unterschiedlichen Farben überzogen. Dann sieht man mit etwas Ahnung auf den ersten Blick, welche Zuordnung bestimmte Gebiete haben. Die meisten Leute wissen, das es Wohngebiete gibt, Gewerbegebiete und Industriegebiete. Das sind drei verschiedene Gebiete. Wusstet ihr aber, das es nicht nur drei verschiedene Einteilungen gibt – sondern laut der Arbeitshilfe Bebauungsplanung mehr als DEIZEHN? Wahrscheinlich nicht.

Und jede dieser Einteilungen hat eigene Auflagen! Deutschland, Bürokratenland. Ich zähle mal auf: Kleinsiedlungsgebiete, reine Wohngebiete, allgemeine Wohngebiete, besondere Wohngebiete, Dorfgebiete, Mischgebiete, Kerngebiete, Gewerbegebiete, Industriegebiete, verschiedene Sondergebiete für Handel oder z. B. erneuerbare Energien und so weiter. Die Auflagen ergeben sich durch verschiedene Gesetze und Verordnungen, so wie die Landesbauordnung Brandenburg oder, wie schon mal erwähnt, das Bundesimmissionsschutzgesetz, bzw. in Brandenburg das Landesimmissionsschutzgesetz (LImschG).

Weil es so viele Einteilungen gibt, ist ein Wohngebiet am Stadtrandgebiet so wie die Musikersiedlung auch nicht mit der Innenstadt zu vergleichen. Wer in eine Innenstadt zieht weiß von vornherein, dass er in einen Bereich mit mehr Verkehrsaufkommen, mit Geschäften, Gastronomie, Markt und Veranstaltungen zieht. Wer in ein Wohngebiet zieht, möchte überwiegend von so einem Kram im direkten Wohnumfeld verschont bleiben und lieber seine Ruhe haben.

Das LImschG soll Bürger vor vermeidbar störendem Lärm in der Nacht – also von 22 – 6 Uhr – schützen, erstreckt sich aber auch auf den Tagesbereich von 6 – 22 Uhr. Nur gelten für beide Zeitbereiche unterschiedlich strenge Regeln. Real als Supermarkt hätte z. B. auch ein Problem nach dem LImschG, wenn die länger als bis 22 Uhr öffnen würden und müsste sicherlich nachweisen, das durch den Betrieb und die Käufer die Menschen die in dem Bereich wohnen nicht beeinträchtigt werden.

Also macht Real um eine Uhrzeit zu um die Anwohner nicht zu stören, wo ein paar hundert Meter weiter dann in einer Partylocation die Stimmung anfängt, erst richtig aufzukommen. Denn wenn Disco ist, geht kaum jemand überhaupt erst vor 22 Uhr dort hin. In Niedersachsen ist in einer Disco jedenfalls von 20 – 22 Uhr eher „Kinderdisco“ angesagt, weil bis 22 Uhr die Minderjährigen dort bleiben dürfen. Danach brauchen sie halt eine schriftliche Erlaubnis der Eltern und die Begleitung eines Erwachsenen, der die Verantwortung übernimmt. Entsprechend kommen die meisten Gäste dann auch erst gegen oder nach 22 Uhr.

Aller Erfahrung nach würde der Partyhangar an Tagen wie Freitags oder Samstags dazu führen, das Real bis 22 Uhr mehr Umsatz macht – und das Verkehrsaufkommen dort auch steigt. Weil viele Leute nämlich „vorglühen“. Das ist die günstigere Alternative: sich schon mal vorweg zu treffen und mit privatem Kram sich „in Form“ zu trinken, bevor man eine Disco betritt und dort weit mehr Geld für Getränke ausgeben muss bis man den gleichen Effekt hat. Sehr praktisch also, wenn man gleich nebenan einen gut sortierten Supermarkt und einen großen Parkplatz zum Treffen hat.

Weil das mit den Gesetzen oft etwas kompliziert ist, stelle ich euch hier nur wenige Paragrafen mal vor, die dafür sorgen, das es eben doch nicht „mal eben so möglich ist“ eine Ausnahme-genehmigung zu erteilen. Das es grundsätzlich möglich ist, regelt die Baunutzungsverordnung:


§ 8 BauNVO

Gewerbegebiete


(1) Gewerbegebiete dienen vornehmlich der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben.

(2) Zulässig sind

1. Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe

2. Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude,

3. Tankstellen,

4. Anlagen für sportliche Zwecke.


(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1. Wohnunge für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbegebiet zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind.

2. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke

3. Vergnügungsstätten.

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Das was ich kursiv gestellt habe, wird wahrscheinlich genau das sein, auf das sich erst einmal alle berufen: „Aber da steht doch, dass man eine Ausnahme machen kann!“. Ja, klar – und dann kommt eben genau das Landesimmissionsschutzgesetz und sagt: „Moooooment, SO einfach ist das aber nicht!“ und zückt zum Beispiel

§ 10 LImschG

Nachtruhe

(1) Von 22 Uhr bis 6 Uhr sind Belästigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind.

(2) Das Verbot des Absatzes 1 gilt nicht für

1. Maßnahmen zur Verhütung oder Beseitigung einer Notlage,

2. den Betrieb von Anlagen, die aufgrund einer Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetzt, einer Planfeststellung nach dem Abfallgesetz oder dem Bundesberggesetz oder aufgrund eines zugelassenen Betriebsplanes nach dem Bundesberggesetz betrieben werden oder solchen gleichgestellt sind,

3. Ernte- und Bestellungsarbeiten zwischen 5 Uhr und 6 Uhr sowie zwischen 22 Uhr und 23 Uhr und

4. Außengastronomie zwischen 22 Uhr und 24 Uhr. In Wohngebieten sowie in Gebieten mit überwiegender Wohnbebauung: an Freitagen, Samstagen sowie vor gesetzlichen Feiertagen zwischen 22 Uhr und 24 Uhr, von Sonntag bis Donnerstag zwischen 22 Uhr und 23 Uhr.

Die Gemeinden können durch ordnungsbehördliche Verordnung oder durch Einzelverfügung den Beginn der Nachtruhe zum Schutz der Nachbarschaft in den Fällen von Nummer 4 bis auf 22 Uhr vorverlegen. Wenn ein überwiegendes Schutzbedürfnis der Nachbarschaft nicht entgegensteht, können die Gemeinden den Beginn der Nachtruhe über die in Nummer 4 genannten Zeiten hinausschieben. Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde das Interesse der Nachbarschaft an der Nachtruhe und das Interesse des Antragssteller an einer verlängerten Öffnungszeit gegeneinander abzuwägen.
(3) Die nach § 21 zuständige Behörde kann darüber hinaus auf Antrag Ausnahmen von dem Verbote des Absatzes 1 zulassen, soweit die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit im öffentlichen Interesse oder einem besonderen überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist. Die Ausnahme soll zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor Geräuschen unter Bedingungen erteilt oder mit Auflagen verbunden werden.

(4) Bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse können die Gemeinden für Messen, Märkte, Volksfeste, Volksbelustigungen und ähnliche Veranstaltungen und für die Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar sowie für die Außengastronomie durch ordnungsbehördliche Verordnung allgemeine Ausnahmen von dem Verbot des Absatzes 1 zulassen. Ein öffentliches Bedürfnis liegt in der Regel vor, wenn eine Veranstaltung auf historischen oder kulturellen Umständen beruht oder sonst von besonderer kommunaler Bedeutung ist und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt.
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Soweit also das Immissionsschutzgesetz zum Thema Nachtruhe. Wie ihr seht, ist sind zwei Dinge klar: Die Interessen der Nachbarschaft und die Interessen des Antragsstellers sind gegeneinander abzuwägen und Ausnahmen sollen unter Bedingungen erteilt oder mit Auflagen verbunden werden.

Ich kann ja verstehen, wenn ihm Rahmen des allseits beliebten: „Die Stadtverwaltung ist doch sowieso nur doof und macht, was sie will“-Bashings ein paar Leute vergessen haben, wie Recherche funktioniert, weil es sich immer gut macht, die Stimmung gegen die Verwaltung aufkochen zu lassen – aber wie ihr seht: das Vorgehen der Verwaltung in Bezug auf das Lärmschutzgutachten ist ZUM SCHUTZ DER ANWOHNER letztlich sogar vorgeschrieben.

„Aber der Martinimarkt...!“ hält sich an die gesetzlichen Auflagen, die Ausnahmegenehmigungen für bis zu 10 Tage im Jahr für Märkte und Volksfeste erlauben und wo die Durchführung und das allgemeine Interesse das Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt. Ebenso die Partys am Jahnbad, vorgesehen waren letztes Jahr glaube ich 3 davon, wie es mit dem 019 aussieht, weiß ich nicht so genau, aber den Plakaten nach ist da auch nicht ständig eine große Disco mitten im Wohngebiet, sondern nur ein paar Mal im Jahr.

Letztlich ist es auch für alle drei Seiten – für den Bauunternehmer, der lieber Partyveranstalter sein möchte, für die Anwohner und für die Stadtverwaltung – eine Art Schutz, schon im Vorfeld Auflagen zu machen. Denn wenn es die nicht gäbe und die Anwohner sich beschweren würden, wenn da tatsächlich jedes Wochenende bis tief in die Nacht Halligalli ist, dann wäre die Stadt aufgefordert, die erteilte Betriebserlaubnis NACHTRÄGLICH mit Auflagen zu versehen. Das bedeutet: Der Unternehmer würde eine Genehmigung bekommen, viel Geld investieren weil so eine coole Location eine gute Einnahmequelle ist, wenn sie sich herumspricht – und dann kommt das böse Erwachen. Anwohner beschweren sich, er bekommt nachträglich Auflagen die – wenn er davon von vornherein gewusst hätte – den Betrieb völlig unattraktiv weil unwirtschaftlich machen.

So etwas möchte kein Unternehmer gerne erleben. Zudem, wenn die Anwohner sich beschweren und Anzeigen machen, weil er mit seinem auflagenfreien Persilschein für die Partylocation wiederholt gegen das Landesimmissionsschutzgesetz verstößt es ihm mit bis zu 5.000 Euro Strafe pro Anzeige auch ziemlich teuer zu stehen kommen kann. Ein Lärmschutzgutachten ist unter Garantie billiger – und sorgt dafür, dass er von Anfang an weiß, woran er ist und nicht erst im Nachgang das böse Erwachen kommt.

Es steht jedem selbstverständlich frei, ob er diese sachliche Argumentation annimmt oder nicht um seine Meinung zu ändern, ergänzen oder zu vertiefen. Mir hat es bei all dem, was bisher so dazu rübergekommen ist, nur irgendwie gefehlt.







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